Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Dann drehte er ihren Kopf leicht nach unten. Alessandro lächelte wie über ein Kinderspiel und schloß die Augen. Silvia merkte, wie er sich entspannte, wie leicht er wurde. Unmerklich schien sein Körper an ihrem Oberschenkel entlangzugleiten. Er ließ sich regelrecht fallen. Vor ihr, an sie gelehnt, lag ein Mann in Kardinalsrobe, wie ein erschöpfter Liebhaber. Er vertraute ihr mit geschlossenen Augen. Tot sah er wahrhaft nicht aus. Und sie selbst? Schaute sie trauernd auf ihn? Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Noch einmal korrigierte Michelangelo ihre Haltung, und nun konnte sie auch ein ernstes, ja ein trauriges Gesicht aufsetzen.
Plötzlich fühlte sie sich den Tränen nahe. Hatte sie nicht seit Jahren eine solche Situation herbeigesehnt? Alessandro war ihr so nah wie noch nie. Und sie trug nicht schwer an ihm. Aber ein purpurner Rock umhüllte seinen Körper für immer. Sie selbst war verheiratet und Mutter zweier Kinder. Sie brauchte keine Trauer zu mimen, sie trauerte. Sie trauerte um ihn. Michelangelo mußte ihre Lage traumhaft sicher erkannt haben. Alessandro hatte sich in sie ergeben, das fühlte sie an seiner Haltung, an seinem gottergebenen Gesicht. Er hatte sich in den Schoß der Kirche fallen lassen. Nun ruhte er dort, und sie durfte um ihn weinen.
»Sehr gut«, rief Michelangelo. »Mutter und Sohn. Eine Schönheit, die durch die Trauer erst richtig zur Geltung kommt. Und Hoffnung im Tod.« Ohne sich weiter zu erklären, verabschiedete er sich knapp und verschwand. Verdutzt und verwirrt blieben sie regungslos sitzen, bis auf Alessandro, der aufsprang und lachte.
»Komm, zeig mir deine Neuerwerbungen!« forderte er Giovanni auf, legte seinen Arm auf dessen Schulter und zog ihn zum Ausgang des Raums. »Lassen wir die Freundinnen allein!«
Giovanni ließ sich willenlos wegführen, drehte sich vor der Tür noch einmal kurz um. Sein Gesicht drückte Unsicherheit, ja Bestürzung aus.
Kaum waren sie verschwunden, fand sich Silvia mit Giulia allein. Auch Giulia schien noch schockiert zu sein. Ihr Gesicht war maskenhaft starr. Silvia fühlte nur eine abgrundtiefe Trauer. Als wüßte sie, daß morgen der Tod sie entführen würde, für immer. Vielleicht rief das Nachstellen des Todes ihn gerade herbei. Vielleicht fühlte er sich verhöhnt und schlüge zu. Was täte sie, wenn Alessandro jetzt wirklich stürbe? Müßte sie ihn dann betrauern wie die Gottesmutter? Und was wäre, wenn Giovanni stürbe? Ein seltsames Gefühl beschlich sie, und sie versuchte, es zu unterdrücken.
»Warum läßt du deine Kinder nicht wieder zu uns bringen?«
Silvia war so in ihre Gedanken versunken, daß Giulias Frage sie aufschreckte.
»Die Kinder!« wiederholte Giulia. »Ich freue mich so, wenn ich einen Säugling sehe.«
»Aber …« Silvia stockte. »Ja, sicher, warum nicht.«
Giulias Gesicht hielt sie jedoch davon ab, das Kindermädchen zu rufen. Es erstarrte immer mehr.
Silvia beugte sich vor und fragte: »Wie geht es Laura? Warum hast du sie nicht mitgebracht?«
Giulia nickte, schien die Frage gar nicht verstanden zu haben.
»O Gott, Giulia«, rief Silvia, »entschuldige, es war dumm von mir, diesen Vorschlag gemacht zu haben. Natürlich sollst du Michelangelo Modell sitzen. Der Papst will es so, und du bist auch viel schöner als ich. Ich werde wahrscheinlich sowieso bald wieder schwanger, und dann bin ich mit meinem dicken Bauch ohnehin nicht zu gebrauchen.« Sie versuchte zu lachen.
Aus Giulias Augen rannen nun dicke Tränen über die Wangen. Ihr Gesicht blieb unbewegt. Es war, so fand Silvia, auch in diesem Zustand schön, klar und vornehm. Ohne die Wirrungen, Unsicherheiten, Sehnsüchte, die Scham und die Schuld, die sonst die Frauen quälten. Sie waren hinter einer Maske versteckt.
»Warum weinst du?« fragte sie.
»Ich habe verloren«, hauchte Giulia mit brechender Stimme. Ihr Gesicht verzerrte sich noch immer nicht. »Ich bekomme keine Kinder mehr, ich werde alt, ich bin eine Frau ohne Ehre – und außerdem wird unsere Familie untergehen. Weder Alessandro noch ich können den Untergang aufhalten.«
Giulia weinte mit bewegungsloser Miene. Aber gleichzeitig klang das, was sie sagte, theatralisch. Silvia wußte nicht, wie sie darauf reagieren sollte.
»Mir ist dies gerade klar geworden. Ich wollte alles gut machen. Ich habe mich von meiner Mutter an einen Halbblinden verheiraten lassen. Ich sehnte mich nach einem hochgestellten und reichen Liebhaber. Ich wollte Alessandro helfen. Aber mein Bruder
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