Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
und konnte ein sich verstärkendes Sehnen nicht unterdrücken. Sie hatten sich geküßt, zum Zeichen, daß sie sich verziehen hatten, sie hatten die Mißverständnisse aufgeklärt, denen eine jahrelange Entfremdung gefolgt war – aber während dieser Jahre hatten sie nicht nur warten und sich verzehren können. Sie mußten sich für eine Zukunft entscheiden, und sie hatten sich entschieden. Nun gab es eine klare Grenze zwischen ihnen. Und sie beide wußten um die Vergeblichkeit eines möglicherweise gefährlichen Gefühls. Es durfte keine Liebe mehr zwischen ihnen geben, denn eine solche Liebe wäre eine große Sünde, würde ihre Ehre und Tugend zerstören und ihr Leben sprengen wie die Kanone, die vor ihrem Haus explodiert war.
Silvia seufzte tief und rekelte sich. Ehre , Tugend – große, tönerne und kalte Worte. Im warmen Spätnachmittag schwanden sie dahin wie das Eis, das ihre Speisen kühlte. Eine Wolke schien die Sonne zu verdecken, es wurde dunkler hinter ihren Augenlidern. Als sie sie öffnete, beugte sich Alessandro über sie. Sie erschrak noch nicht einmal. Am liebsten hätte sie die Arme um seinen Hals geschlungen. Aber sie schloß nur wieder die Augen, und er küßte sie auf die Stirn.
Später schwammen sie, während Giulia mit den Kindern im Wald Vögel beobachtete. Rosella erschien, setzte sich auf den Sirenenfelsen, ihr Gesicht verborgen hinter ihrem Schleier, bekleidet mit einem leichten Leinenkleid. Sie spielte wieder Laute und sang sogar. Summte mehr. Im Wasser konnte man sie kaum hören. Dann stieg sie herab und streifte am Ufer ihr Kleid ab. Noch immer hatte sie einen schönen Körper. Das Gesicht war bedeckt, ein heller Schleier. Langsam stieg sie ins Wasser. Silvia befürchtete, sie könnte hinabgezogen werden und nie wieder auftauchen. Aber dann drehte sie sich um und schritt genauso langsam, wie sie ins Wasser eingetaucht war, wieder hinaus, legte sich nackt auf den Felsen, um ihren Körper trocknen zu lassen. Die Sommertage verschwammen im Glück. Silvia konnte sich nichts Schöneres mehr vorstellen. Mit Giulia sprach sie nicht mehr über das Altern oder das Verlassenwerden, auch nicht mehr über Unfruchtbarkeit. Mutter Giovannella hörte auf, morgens ihre Träume zu erzählen. Der kleine Tiberio lernte während der Wochen laufen, und er liebte, wie auch Sandro, ganz besonders den Onkel Alessandro, der nicht müde wurde, mit ihnen zu spielen.
Nachts wachte Silvia manchmal auf und mußte sich an das geöffnete Fenster stellen, um frische Luft einzuatmen. Von draußen drangen die Geräusche des Sees herein, das Quaken der Frösche und ferne Schreie, von Vögeln vielleicht. Einmal sah sie auch einen riesigen Schatten an den hochaufragenden Mauern der Burg entlanggleiten. Über allem der helle Schleier der Milchstraße, wie ein Band quer über den Himmel gezogen. Oder der Mond, der sich über den See in den Himmel schob, der wuchs und heller wurde, bis er schließlich die Sterne überstrahlte und die Milchstraße zum Verschwinden brachte. Als Vollmond war, erzählte Alessandro, er wolle am Abend zur Insel hinüberrudern und die Nacht dort verbringen. »Warum kommt ihr nicht mit?« fragte er Giulia und sie.
Giulia zögerte, Silvia fand dieses nächtliche Abenteuer zwar verlockend, aber auch angsteinflößend. »Oder wir bleiben nach einem Picknicktag einfach auf der Insel. Lassen die Kinder mit unserer Mutter und Rosella zurückkehren und genießen die Mondnacht. Wenn die Geister uns erschrecken sollten, werde ich sie vertreiben.«
Mutter Giovannella war skeptisch. »Du forderst sie heraus. Tagsüber sind sie in den Brunnenschacht verbannt, aber nachts gehört die Insel ihnen.«
»Aberglaube!« Alessandro lachte.
Sie schaute ihn an, dann Giulia und ließ schließlich lange ihre Augen auf Silvia ruhen.
»Na, was ist?« fragte er.
»Wenn du meinst«, antwortete Giulia zögerlich.
Silvia erfaßte eine plötzliche Lust, dieses Abenteuer einzugehen. Die Neugierde drängte sie, zu erleben, wie sich die Welt auf dieser kleinen, stillen und so idyllischen Insel verwandelte in ein mondbeschienenes Geheimnis. Ihr gesamtes Leben hatte sie noch nie in der freien Natur genächtigt, die Stimmen der Nacht hautnah erlebt.
»Ja, gerne«, sagte sie.
Bevor es dunkel wurde, brach Mutter Giovannella mit den Kindern und Rosella auf. Gerade als das Boot ablegen wollte, sprang Giulia noch hinein.
Alle schauten sie fragend an.
»Ich habe plötzlich Angst.« Sie war ganz bleich. »Kommt mit zurück, ihr
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