Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
enden sollte.
50. K APITEL
Als es zu dämmern begann und eine graue Welt aus dem See geboren wurde, hüllte Alessandro Silvia in eine Decke und trug die Schlafende in den Schatten der Steineiche. Er drückte sie an sich. Silvia war seine Geliebte. Er würde sie nie wieder loslassen. Sie war für immer an ihn gebunden. Er fühlte sich glücklich und stark wie nie zuvor.
Silvia schlief, bis die Sonne sich über den Horizont erhob. Als sie aufwachte, schaute sie ihn zuerst liebevoll an, aber als er sie küssen wollte, wehrte sie ihn ab und setzte sich auf. Sie starrte ins Leere.
»Was haben wir getan?« fragte sie tonlos.
»Du liebst mich«, antwortete er. »Du hast es mir endlich bewiesen.«
»Und du?«
»Auch ich liebe dich.«
Sie wandte sich ab. Als er sah, daß sie zitterte, nahm er sie in den Arm. Sie wehrte sich nicht mehr. Ein Schatten fiel über seine Stimmung, aber er verstand sie auch. Und trotzdem war er sich sicher, daß sie etwas Richtiges getan hatten. Sie waren füreinander bestimmt! Ein eifersüchtiger Gott hatte sie getrennt, doch die Sehnsucht war stärker gewesen. Und nun war ein neues Kapitel aufgeschlagen. Noch allerdings gab es Fesseln, die sie nicht abgeschüttelt hatten. Das wußte er, das wußte sie. Aber ohne diese Nacht hätten sie nie eine Lösung gefunden.
Silvia schluchzte leise und sah ihn dann unter Tränen, aber lächelnd an. »Wir müssen diese Nacht vergessen, Alessandro. Wir dürfen nie mehr darüber sprechen.«
Alessandro schüttelte den Kopf. »Ich kann dich nicht wieder loslassen. Du gehörst zu mir.«
Silvia schüttelte den Kopf. »Ich gehöre niemandem, weder dir noch Giovanni. Du hast kein Recht … Niemand hat ein Recht … Wir waren glücklich – für eine Nacht. Dabei muß es bleiben.«
Er kniete sich vor sie, nahm ihre Hände, drückte sie an seine Brust. »Du hast recht: Du gehörst niemandem. Aber wir beide gehören zusammen. Wir haben uns endlich gefunden.« Als Silvia an ihm vorbeischaute, wurde seine Stimme drängender: »Was immer auch geschieht … Ich fühle solch eine Kraft – und Hoffnung. Wir werden eine Lösung finden. Und wenn du mich liebst …«
»Ach, Alessandro …«, flüsterte sie und wischte sich wieder die Tränen aus den Augen.
Bevor die Sonne ihren Höchststand erreichte, ruderte Alessandro Silvia zurück nach Capodimonte. Mit jedem Ruderschlag fühlte er sich stärker und sicherer, trotz ihrer Bedenken und Widerstände. Diese Nacht hatte ihm nicht nur ein unvergeßliches Glückserlebnis beschert, sondern auch die Gewißheit, daß er all seine Ziele erreichen würde. Ihm kam der Gedanke, sein Kardinalamt aufzugeben, um zu heiraten und die Familie vor dem Aussterben zu bewahren. Angelo war tot, seine Vettern lebten nicht mehr, der Papst würde ihm die Dispens erteilen. Zu viel stand für die Farnese-Familie auf dem Spiel. Ein junges adliges Mädchen fand sich überall, eine Orsini vielleicht, wie es der Familientradition entsprach … Er unterbrach seine Gedanken selbst. Hatte er etwa Silvia erobert, um eine Orsini zu heiraten? Nein: Silvia mußte die Mutter seiner Kinder werden. Sie allein. Gab er sein Kardinalamt auf, wie es auch Cesare Borgia getan hatte, bewies er ihr die Ernsthaftigkeit seiner Liebe, und sie würde sich vielleicht von Giovanni Crispo trennen. Aber der Papst müßte ihr die Erlaubnis erteilen. Dies würde er sich sicher teuer bezahlen lassen wollen. Und was geschah mit Silvias Söhnen? Crispo würde die Söhne behalten. Nein, das ließ sie nie zu, nie …
Alessandro beobachtete sie. Sie lag auf den Planken und ließ ihren Arm über den Bootsrand hängen. Durch die Finger glitt das Wasser. Ihre Augen waren in die Ferne gerichtet. Und wieder überfiel ihn dieses brennende Gefühl, in ihr genau das gefunden zu haben, was er seit damals, seit ihrer Rettung, suchte. Vielleicht könnte er, wie Ugo vorgeschlagen hatte, als Legat nach Avignon gehen und sie mitnehmen. Die Kinder würden sie einfach entführen …
Nein, Silvia würde nicht mitspielen. Und auch in ihm selbst sträubte sich alles dagegen. Was suchte er in Avignon? Von der Liebe allein konnte ein Mann nicht leben, er brauchte eine Aufgabe und ein Ziel. Und sein Ziel bestand darin, einmal Papst zu werden.
Alessandro wunderte sich selbst, wie selbstverständlich er, der junge Kardinaldiakon ohne höhere Weihen, davon ausging, einmal Pontifex maximus zu werden. Er hatte über dreißig Mitbewerber, alle hatten sie die höheren Weihen, und die meisten waren reicher
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