Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
wirkliche Vater?
Alessandro schrieb ihr regelmäßig Briefe, obwohl er seit geraumer Zeit häufig Aufgaben für Cesare Borgia erfüllen mußte und außerdem in der nach dem Tode Juans einberufenen Reformkommission mitarbeitete. Die Sünden der Kirche, denen er begegnete, vermischten sich für ihn mit den eigenen Sünden. Alessandro berichtete Silvia aus seiner Vergangenheit, manchmal beichtete er ihr seine Verfehlungen. Aber Caterina Sforza habe er nicht angerührt, betonte er, selbst wenn das Gerücht auftauchen sollte. Immer wieder kam er auf sie zu sprechen, und manchmal empfand Silvia Eifersucht auf die Gefangene, deren ungebärdige und ungebändigte Kraft er zu bewundern schien.
Was er für den Herzog von Valence im einzelnen erledigte, schrieb er nicht. Zunehmend berichtete er jedoch von den Erkenntnissen der Reformkommission. Diese Tätigkeit liege ihm sehr am Herzen, und er glaube, eine Reform der Kirche an Haupt und Gliedern, das Abstellen der gröbsten Mißstände und eine bußfertige Besinnung seien nötiger denn je. »Doch sieht es zur Zeit so aus, als habe der Heilige Vater die wahren Aufgaben seiner Hirtenpflicht, die er nach dem Tod seines Sohnes so deutlich gespürt hatte, wieder vergessen. Cesares Einfluß wächst von Tag zu Tag. Ob wir unsere Reformbulle jemals veröffentlichen dürfen, steht dahin. Und dies betrübt mich.«
Gelegentlich besuchte Alessandro seine Tochter. Meist, wenn Giovanni nicht zu Hause war. Silvia durchfuhr eine glühende Freude, aber sie ließ ihn immer eine Weile warten, bis sie ihn mit Stil und Würde empfangen konnte. Er widmete sich liebevoll seiner Tochter, im übrigen auch Sandro und Tiberio, die sich immer über ihn freuten und ihn sofort in ihr Spielzimmer ziehen wollten, um mit ihm zu toben. Das Wort Liebe nahm er nicht mehr in den Mund, aber er schaute Silvia mit Augen an, aus denen Liebe sprach.
Cor , unde venis – mit diesem Hinweis auf einen seiner allerersten Briefe hatte sie ihn einmal verabschiedet. Er drehte sich daraufhin noch einmal um, nahm ihre Hände, küßte die Fingerspitzen, dann auch ihren Mund.
All dies geschah zu Zeiten, in denen Crispo sie kaum noch anrührte, und wenn, dann nachlässig, grob und kurz.
Bei der Enthüllung von Michelangelos Pietà in einer Seitenkapelle von San Pietro waren sich die beiden Männer im übrigen einmal begegnet.
»Wir haben uns sogar eine Weile unterhalten«, betonte Crispo.
Silvia brannte auf einen genauen Bericht. Crispo hatte ihr untersagt, ihn in die Messe zu begleiten, in deren Verlauf die Skulptur enthüllt werden sollte. Als sie protestierte, erklärte er kurzerhand, dann gehe er nicht, und ob sie als Frau ohne männliche Begleitung gerade diese Messe besuchen dürfe, bezweifele er. Sie hatte nachgegeben, sich aber geschworen, sich die Pietà , ihre Pietà , allein und ohne männliche Begleitung anzuschauen – es sei denn in seiner Begleitung.
»Er ist noch immer der alte. Hauptsächlich an profanen Dingen interessiert. An der Jagd zum Beispiel. Ein Kardinal, der auf die Jagd geht! Statt Hirsche zu schießen, sollte er lieber seine ihm anvertrauten Schäfchen hegen und pflegen – damit er sie ins Trockene bringen kann.«
Crispo sprach, wie immer, wenn er Alessandro erwähnte, in einem hämischen Ton und lachte nun über seinen Wortwitz.
Silvia lächelte noch nicht einmal. »Du gehst doch auch auf die Jagd. Warum soll sich ein Kardinal nicht eine kleine Freude gönnen«, entgegnete sie schnippisch.
Crispo grinste überlegen. »Das habe ich mir dann allerdings auch gedacht und ihn zu einer Bärenjagd ins Tolfa-Gebirge eingeladen. Agostino Chigi jagt dort immer, Wölfe, Hirsche, sogar Bären. Dein Farnese war nicht abgeneigt, sich diese Freude zu gönnen – obwohl er, dies muß ich zugeben, ein wenig zögerte, bevor er meine Einladung annahm.«
Silvia beschlich ein ungutes Gefühl bei der Vorstellung, Giovanni und Alessandro könnten gemeinsam auf die Jagd gehen. Warum hatte ihr Ehemann Alessandro eingeladen? Er haßte ihn doch – oder empfand zumindest eine unausrottbare Eifersucht. Obwohl sie ihm keinen Anlaß mehr lieferte. Im Grunde hatte sie sich damit abgefunden, daß es für sie und ihr Glück keine Lösung gab. Daß sie verzichten mußte. Ihr Vater hatte sich für sie geopfert, sie opferte sich für die Zukunft ihrer Kinder.
Die Sucht der Männer, auf die Jagd zu gehen, verstand sie ohnehin nicht. Genausowenig, wie sie verstand, daß bisher alle Männer, denen sie begegnet war, davon
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