Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
den Mord an seinem Gehilfen verantwortlich zu sein? Der Mann war ja noch nicht einmal Zeuge gewesen. Oder doch? Genau dies wurde nun ausgesprochen. Der Ermordete habe bisher nur behauptet, er habe nichts gesehen, aber man hätte ihn nur ein wenig nachdrücklicher befragen müssen. Dann hätte man erfahren, was geschehen sei. Nun sei es zu spät. Und genau dies habe sein Mörder gewollt. Man müsse nur fragen, wer ein Interesse daran habe, daß ein Zeuge nicht mehr aussagen könne …
Du bist frei ! Höhnischer als dieser Satz konnte jetzt nichts klingen. Jeder in der Stadt wußte Bescheid.
Jeder sah in Alessandro einen Mörder. Und jeder verdächtigte sie der Anstiftung zum Mord.
Aber gerade diese Situation setzte in Silvia etwas in Gang, was ihre Angst zwar nicht beendete, aber ihre Gefühle ein für allemal klärte. Nach einer endlosen Nacht und einer langen grauen Dämmerung ging plötzlich die Sonne auf. Sie hatte sich entschieden sich nicht von ihm abzuwenden, weil sie ihn trotz allem liebte. Sie würde ihn sogar noch lieben, wenn er gestand, Giovanni die Felsen hinabgestoßen zu haben. Dies war ihr nun endgültig klargeworden. Nun wagte sie auch wieder, tief verschleiert mit Rosella und ihren Kindern in die Sonntagsmesse nach Santa Maria ad Martyres zu gehen und anschließend noch am Grab ihrer Eltern und Brüder zu beten.
Plötzlich stand Alessandro neben ihr. Er hatte in bürgerlicher Kleidung die Messe besucht.
»Laß mich heute abend durch den Hintereingang ein«, flüsterte er und war wieder verschwunden.
»Warum diese Heimlichkeiten, wenn es doch alle wissen?« fragte sie ihn, als er nachts neben ihr lag.
»Ich möchte den Verleumdungen und üblen Nachreden keine weitere Nahrung geben. Wir beide müssen nur warten …«
Silvia setzte sich auf. »Wie lange sollen wir noch warten?« rief sie. »Ich lebe in ständiger Angst, daß eines Tages der alte Crispo einen Haufen Bewaffneter schickt und gewaltsam meine Söhne aus meinem Haus entführt. Ich höre nur noch schlimme Nachrichten. Ich weiß nicht, woran ich glauben soll. Ich lebe in einem Gefängnis. Ich kann einfach nicht mehr!«
Silvia spürte eine plötzliche Wut. Und diese Wut richtete sich gegen Alessandro, der nackt neben ihr lag und der sie gerade noch geliebt hatte. Für sie hatten die Fragen und Bedenken, die Zweifel und Unsicherheiten im klaren Licht ihrer Gefühle ihre Bedeutung verloren. Aber er sprach von warten . Was sie jetzt brauchte, waren Mut und Stärke. Sie wollte lieber mit einem kämpfenden Alessandro untergehen, als länger zu warten.
Er nahm sie in den Arm, und so schnell sie gekommen war, so schnell schwand ihre Wut dahin.
»Ich kann nicht länger warten«, flüsterte sie flehend.
»Was soll ich tun?«
»Mich lieben!«
»Aber ich liebe dich doch. Ich möchte gleichzeitig deine Ehre schützen.«
»Meine Ehre ist mir gleichgültig. Ich möchte meine Kinder um mich haben und dich lieben dürfen. Ich habe lange genug gewartet.«
»Und wenn ich nun doch Giovanni die Felsen hinuntergestoßen hätte?«
»Dann würde ich dich trotzdem lieben.«
Ja, jetzt war sie wirklich frei.
Alessandro umschlang sie, und sie verkroch sich regelrecht in ihn. Sie spürte, wie ihm erneut Kraft zuwuchs, und sie wußte, daß sie ihm diese Kraft gab. Sie wollte, daß nicht nur er sie umfing, sondern auch sie wollte ihn umfangen. Sie wollte ihm noch einen Sohn gebären, einen Farnese, der ihm die Angst nahm, die Familie könne aussterben, einen Farnese, der nicht nur Kardinal oder Condottiere würde, sondern etwas Größeres. Ja, sie wollte ihm, dem Mann, der sie gerettet hatte und dem sie jetzt alles verzieh, Kraft geben und Hoffnung, Mut und Ausdauer. Für jeden Kampf, den er zu fechten hatte. Und sie wußte, daß auch sie dadurch Kraft und Hoffnung gewann. Und Freiheit .
Sie liebten sich noch lange während dieser Nacht.
Bald darauf wußte Silvia, daß sie wieder schwanger war.
60. K APITEL
Als Alessandro die bulla des Papstes in den Händen hielt, die ihm das Bistum Corneto und Montefiascone zusprach, wußte er, daß er es geschafft hatte. Endlich ein Bistum, das ordentlich etwas abwarf und das zudem die Besitzungen seiner Familie umfaßte. In Zukunft würde er nicht mehr der HungerleiderKardinal sein, auf den viele Kardinäle im Vatikan mit wissendem Lächeln herabsahen, auch wenn sie seinen angeblichen oder wirklichen Einfluß unter den Borgia fürchteten und im Konsistorium seinen logischen Ableitungen nichts mehr entgegenzusetzen
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