Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
antwortete: »Die Toten geben ihr Wissen nur an die weiter, die an sie glauben.« Sie hatte ihr Gesicht ganz dem Mond zugewandt; ihr entstelltes Gesicht war zu einer Maske erstarrt.
»Ich muß es wissen«, sagte Silvia.
»In Roms Gassen und Tavernen hält man den Kardinal für den Mörder an seinem Nebenbuhler.«
»Ich fragte nicht nach Gerüchten, sondern nach der Wahrheit.«
Plötzlich legte Rosella die Maske der Magierin ab. Sie rückte an Silvia heran und legte ihr den Arm um die Schulter.
»Du frierst ja, mein Hühnchen.«
»Mir ist ganz furchtbar kalt«, flüsterte Silvia. »Aber du hast noch immer meine Frage nicht beantwortet.«
»Alessandro ist unschuldig. Er ist nicht in der Lage, einen Mord zu begehen. Aber ich habe einen Toten gesehen und weiß nicht, wer es ist. Die dunklen Wolken stehen noch immer am Himmel.«
Als wolle der Himmel ihre Worte bestätigen, schob sich eine Wolke über die Sichel des Mondes.
»Geh zu Giulia, seiner Schwester. Sie wird dir mehr erzählen können.«
»Sorgst du dafür, daß meine Kinder nicht entführt werden?«
»Ich lasse niemanden ins Haus und gebe mein Leben für sie.«
Am nächsten Tag ließ sich Silvia bei Giulia im Palazzo bei Santa Maria in Portico melden. Die Erinnerungen an den Mord, der hier geschehen war und dem sie fast hatte zusehen müssen, drängten sich ihr auf. Giulia empfing sie in bester Laune und so strahlend wie lange nicht. Sie schien sich verjüngt zu haben. Sie trug ihre Haare offen, und noch immer fielen sie bis auf die Hüften.
»Du bist jetzt frei.« Auch Giulia sagte diesen Satz, kaum daß sie allein waren.
»Sagt das Alessandro?«
»Nein, das sage ich. Ergreife die Gelegenheit, und du wirst es nicht bereuen. Du zögerst zuviel.«
»Ich bin eine trauernde Witwe.«
Giulia lachte spöttisch. »Rodrigo hat geschmunzelt, als er von Crispos Tod erfuhr, sein Sohn Cesare ist in lautes Gelächter ausgebrochen und hat dann angemerkt: ›Endlich hat der Gonella gelernt, wie man mit seinen Gegnern verfahren muß.‹«
»Und was hat die Untersuchung ergeben?«
»Es gibt keine Zeugen. Aber was sind Untersuchungen schon wert!«
Giulia wollte nun nichts mehr von Silvias Zweifeln und Ängsten hören, sondern berichtete mit triumphierendem Lächeln, daß Rodrigo sie regelmäßig besuche und durchaus von einer Nachblüte ihrer Liebe die Rede sein könne. »Seine Geschenke lassen sich wieder sehen, und er hat mir sogar versprochen, etwas für meinen Bruder zu tun. ›Er ist wirklich ein armer Hänfling, unser kleiner Kardinal, trotz der Erbschaft‹, hat er gesagt. ›Aber besser Schulden als Schuld.‹ Rodrigo ist immer für einen Wortwitz gut. Leider merkt man ihm sein Alter nun doch an. Er fällt immer häufiger in Ohnmacht, und im Bett ist er auch nur noch der Schatten seiner selbst.«
Silvia hörte kaum zu. Als Giulia eine kurze Pause machte, fragte sie: »Und du glaubst nicht, daß Alessandro von den Borgia eine Gefahr droht?«
»Nein, nein – warum? Ist er nicht Cesares Freund? Was bedeutet den Borgia schon Giovanni Crispo!«
»Und wenn Vater Crispo sie besticht?«
Giulia wurde nachdenklich. »Vater und Sohn Borgia lieben Geschenke und wissen sich zu bedanken.« Sie schüttelte abwägend den Kopf. »Solange es keine Zeugen gibt … Giovanni hatte ebenfalls ein Motiv, Alessandro ins Jenseits zu befördern … Man weiß allerdings tatsächlich bei den Borgia nie, ob sie nicht morgen schon ihre Meinung ändern.«
Nur wenig beruhigt, verließ Silvia ihre Freundin, ging zu der Kapelle von San Pietro, in der Michelangelos Pietà stand, und betete lange. Sie hoffte, Alessandro würde plötzlich neben ihr stehen, aber sie wartete vergebens.
Wenige Tage später wurde bekannt, daß der Jagdhüter von Kardinal Farnese ermordet aus dem Tiber gezogen worden sei. Die Mägde erzählten es, nachdem sie es auf dem Markt gehört hatten, Rosella wußte es schon, und auch Giulia schickte ihr eine Botschaft, daß diese Nachricht im Vatikan mit betroffenem Schweigen aufgenommen worden sei. Natürlich wurden an der Säule des Pasquino mehrere Gedichte angeschlagen, die unumwunden von der Blutspur des Kardinals Gonella sprachen und davon, daß diese Spur direkt in das Schlafgemach einer schönen, durch die trauernde Gottesmutter geadelten Witwe führe. Der verleumderische Hohn klärte nun endgültig die gesamte Stadt über die Affäre auf; es konnten nur die Crispo dahinterstecken.
Aber, so fragte sich Silvia, wie konnte man Alessandro unterstellen, für
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