Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
sie wirklich frei sein konnte. Er mußte alle Verdachtsmomente ausräumen. Er mußte der strahlende Retter sein, in den sie sich einstmals verliebt hatte.
Während Silvia nachts schlaflos auf der Dachterrasse hockte und in den Sternenhimmel schaute, fühlte sie immer stärker, daß auch noch etwas anderes zwischen ihnen stand. Es war ihre eigene Schuld. Sie fühlte, daß Gott sie mit Giovannis Tod bestrafen wollte. Er nahm ihr den Ehemann, den Vater ihrer Söhne, den Ernährer der Familie und den Menschen, der ihre Ehre schützen konnte. Gleichgültig, was im Tolfagebirge geschehen sein mochte, Giovanni war kein schlechter Mensch gewesen, er hatte sie gegen den Willen seines Vaters geheiratet und sie vor den Übergriffen des Alten geschützt. Aber sie hatte nicht verhindern können, daß die ganze Familie entehrt wurde. Sie hatte die Ehe gebrochen.
Du bist jetzt frei ! Bedeutete diese Freiheit nicht auch, daß sie schutzlos war? Wer schützte sie und ihre Kinder vor den Zugriffen ihrer eigenen Familie? Der alte Crispo wartete nur auf eine Gelegenheit, ihre Kinder an sich zu reißen. Half ihr Alessandro, sich gegen den Großvater der Kinder durchzusetzen?
Und wenn nun der alte Crispo ausstreute, sie selbst habe den Kardinal Farnese zum Mord an ihrem Ehemann angestiftet – um sich ihm ohne Hindernisse hingeben zu können? Könnten nicht sogar eines frühen Morgens die sbirren vor der Tür stehen und sie zum Torre di Nona zerren? Wie man ein Geständnis erzwang, wußte sie. Die Wahrheit wich immer vor den Drohungen brutaler Gewalt oder gab den Verlockungen des Geldes nach. Der Bargello war bestechlich, und die Richter ebenfalls.
Wo würde dann die Freiheit bleiben? Kerker und Tod waren ihr gewiß – wenn nicht eine starke Hand sie schützte. Diese starke Hand, daran gab es keinen Zweifel, konnte nur Alessandro Farnese sein. Doch benötigte er nicht selber Schutz? Sogar bis zu ihr war durchgedrungen, daß es im Vatikan eine geheime Untersuchung gegen den Kardinal von Santi Cosma e Damiano gab. Wenn sie ihn für schuldig an dem Tod des Giovanni Crispo hielten -was dann?
Dann halfen nur noch der Papst und sein Sohn.
Ihren Willen konnten die beiden immer durchsetzen. Aber wenn sie Alessandro loswerden wollten? Wenn sie sich von dem alten Crispo bestechen ließen?
Dann war Silvia nur noch frei, zu sterben.
In panikartiger Angst suchte sie Rosella auf. Sie fand sie umgeben von süßen, weihrauchähnlichen Schwaden, das Auge halb geschlossen, fremd klingende Silben vor sich hin murmelnd. Vor ihr hockte eine Kröte, an der Wand saß ein ausgestopfter Rabe, und in einem mit einem Netz verschlossenen Behältnis ringelten sich mehrere Schlangen. Silvia war erstarrt und beobachtete bewegungslos, was Rosella tat. Sie nahm die Kröte in ihre Hand und küßte sie mehrfach. Dann setzte sie das Tier wieder vor sich auf eine Schüssel, faltete die Hände und verneigte sich.
»Ich weiß, daß du bei mir bist«, sagte sie, und Silvia wußte einen Augenblick lang nicht, ob Rosella sie oder den Satan meinte. »Geh auf das Dach, ich folge dir nach, ich muß erst den Fürsten der Finsternis verabschieden.«
Wortlos und beklommen schlich Silvia durch die Gänge des Hauses, zog sich langsam am Treppengeländer hoch und legte sich schließlich in die frische Nachtluft der Dachterrasse. Es dauerte nicht lange, bis Rosella erschien.
»Was hast du getan?« fragte Silvia. »Wenn dich der alte Crispo an das Heilige Offizium verrät und man hier deine Tiere und Gerätschaften findet, wirst du auf dem Scheiterhaufen enden.«
Rosella schwieg eine Weile, bevor sie antwortete: »Du weißt doch, daß viele hochgestellte Herren von Rom meine Dienste in Anspruch nehmen. Ich spreche mit den Toten, ich sehe in die Zukunft. Ich pflege engen Kontakt mit dem Fürsten der Finsternis. Er ist der einzige, der mir helfen wird, wenn die Zeit der Rache angebrochen ist. Und ich fühle, sie wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Bevor die sbirren kommen, um mich zu foltern und zu verbrennen, werde ich verschwinden. Ich steige hinab in die Welt, die unter Roms Häusern liegt, in die alten Katakomben. Ich habe Helfer dort. Niemand wird mich finden.«
Der Schein des gerade aufgehenden Halbmondes lag auf ihrem Gesicht, so daß das Weiße ihres einen Auges hervortrat. Ihre gespenstische Fratze ließ Silvia erschauern.
»Wenn du mit Toten sprichst, dann weißt du sicher auch, ob Alessandro Giovanni umgebracht hat«, fragte sie ohne Umschweife.
Rosella
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