Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
San Pietro herauf. Im Raum herrschte eine stickige Stille, und es roch nach dem Schweiß der Plünderer.
» Sic transit gloria papae «, flüsterte der noch immer zitternde Casanova. Dann führte er Alessandro in den Nebenraum. Mit einigen Handgriffen öffnete er mehrere Geheimfächer in den Wänden und schrie auf: »Ha, sie haben die wertvollsten Juwelen gar nicht gefunden. Und hier sind auch noch weitere Golddukaten.« Schnell verschloß er die Geheimfächer wieder. »Daran seht Ihr, daß der Papst noch nicht einmal seinem eigenen Sohn vertraut hat. Mit Recht. Denn der Sohn kümmert sich einen Dreck um seinen sterbenden Vater und hat nur im Sinn, den Kirchenschatz an sich zu raffen. Was für eine Familie! Der Herrgott wird sie ewig strafen.«
Casanova hob den Schlüsselbund auf, den Michelotto achtlos zu Boden geworfen hatte, verschloß den Nebenraum sorgfältig und winkte Alessandro.
»Ich danke Euch, daß Ihr mir in dieser schweren Stunde beigestanden habt. Wir müssen jetzt Doktor Burchardus rufen. Er soll den Leichnam herrichten und aufbahren lassen. Die Kollegen müssen benachrichtigt werden, und es gilt, die Totenfeier vorzubereiten.« Flüsternd fügte er noch an: »Der Herr verzeihe mir diesen Wunsch: Aber wir wären alle glücklicher, wenn der Herzog ebenfalls dahinginge!«
Alessandro begab sich nach San Pietro, um vor der Pietà zu beten. Er versank in eine andächtige Stimmung und vergoß sogar einige Tränen. Er wischte sie ab und sagte sich zugleich, daß er sie kaum aus Trauer über den verschiedenen Papst vergossen habe. Er sah Silvia vor sich und sich selbst als Toten. Und seine Gedanken trübten sich noch mehr ein. Wie schnell konnte das Schicksal den Menschen ereilen! Wie leicht war es möglich, daß er selbst starb – an einer Krankheit oder durch Mörderhand. Dann würde Silvia so dasitzen, wie Michelangelo sie geschaffen hatte, in stummer Trauer. Und es erfaßte ihn, wie jedesmal, wenn er vor der Pietà niederkniete, eine Trauer, die aus dem Marmor herausgemeißelt war, eine namenlose, unendliche schwarze Trauer. Es war eine Trauer darüber, daß so viele Menschen so früh hatten sterben müssen, sein Vater, Lorenzo de’ Medici, sein Bruder Angelo, ja sogar Crispo, daß es Menschen gab, die ruchlos mordeten und nicht bestraft wurden, daß Heere Landstriche verwüsteten und ihre Menschen wahllos hinschlachteten, eine Trauer darüber, daß Gott soviel Unglück über die Menschen hereinbrechen ließ und es keinen Ausgleich hienieden gab. Marias Schmerz über ihren gekreuzigten Sohn war sprachlos, tränenlos, unendlich. Sie drückte eines aus, was jedem ans Herz gehen mußte: die Trauer der Welt.
Alessandro blieb lange in San Pietro. Es war nach Mitternacht, als er hinaus in die klare Mondnacht trat. Die Stadt schlief nicht. Überall rannten Männer umher, er hörte Waffen klirren, Befehle schallten herüber. Langsam begab er sich zurück in den Palast des Papstes. Noch immer schleppten Kammerdiener, Stallknechte, Soldaten ihr Beutegut ab. Ein Kardinal war nirgends zu sehen. Alessandro gelangte ungehindert in die Papstgemächer und fand schließlich den Heiligen Vater, bedeckt von einer karmesinroten Decke, in seinem Zimmer. Zwei Kerzen zu seinem Haupt, aber keine Totenwache. Es gab tatsächlich niemanden, der seine letzte Reise bewachte. Der die bösen Geister verscheuchte, den Teufel in Schach hielt.
Und er? Sollte er bleiben? Nein, er selbst wollte auch nicht bleiben! Es gab andere, die dem Heiligen Vater wahrhaft näherstanden. Ihre Aufgabe war es, zu wachen.
Oben, in Cesares Räumen, hörte er Michelotto und seine Leute zechen und singen.
Noch in derselben Nacht ritt er zu Silvias Haus. Noch immer war alles dunkel und verschlossen. Ohne geschlafen zu haben, ritt er zurück nach San Pietro. Am frühen Morgen versammelten sich langsam die Kardinäle und Prälaten. Es sollte die Totenmesse gelesen werden. Als die Bahre niedergesetzt wurde, fehlte das Missale. Keiner beherrschte den Text des Non intres in iudicium , eine peinliche Pause entstand. Schließlich stimmten die Kardinäle das Responsorium an: » Libera me , Domine «, aber sie kamen nicht weit, denn plötzlich entstand ein Handgemenge, weil die Soldaten der Palastwache den Geistlichen grundlos die Fackeln abnehmen wollten. Als diese sich weigerten, brüllten die Soldaten los und richteten ihre Hellebarden gegen die Prälaten, die erschrocken die Arme hoben und in die Sakristei flohen. Alessandro stand nun mit Burchardus und
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