Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
unter ungeklärten Umständen fiel. Später eroberte Julius die Städte der Romagna und einte das Patrimonium. Er und sein Nachfolger Leo X. – unser Giovanni de’ Medici – legitimierten unsere Söhne und bestätigten das Lehen der Farnese, so daß sich Alessandro später stolz mit der Urkunde in der Hand von Raffaello Santi porträtieren lassen konnte. Auf dieses Bild schaue ich, wenn ich meinen Kopf hebe, wie auch auf Tiziano Vecellios Porträt des barhäuptigen alten Alessandro, das ich besonders liebe. Tiziano hat seinen Charakter meisterhaft getroffen: listig wie ein Fuchs, leidgeprüft wie Hiob und gütig wie der Heiland selbst.
Ach, mein Alessandro! Ich sitze vor dem Papier und möchte keine Novellen mehr schreiben: Ich muß mich der Wahrheit des Vergangenen stellen. Noch habe ich nicht mehr verzeichnet als die Aufzählung trockener Fakten. Ich sehe ihm in die Augen – so stand er vor mir, als er die Legitimierungsbulle seiner Söhne in der Hand hielt. Es war ein Augenblick, der ihn mehr beglückte als mich. Denn ich wußte, unsere glücklichste Zeit war abgelaufen.
Alessandro war damals schon zwei Jahrzehnte Kardinal – und hatte noch immer nicht die höheren Weihen empfangen. Ohne sie hätte er nie Papst werden können, noch nicht einmal regulärer Bischof. Er war inzwischen reich, aber während sein Schützling Giovanni, Lorenzos Sohn, auf dem Stuhl Petri saß, kümmerte er sich lieber um unsere Kinder und vernachlässigte seine Laufbahn. Wir verbrachten damals viele Sommer auf der Isola Bisentina, häufig mit Giulia zusammen. Auch seine Mutter lebte noch, ein wenig wunderlich zwar, aber von einer erstaunlichen Robustheit. Kein Sommer verging, ohne daß wir nach Bolsena pilgerten, wo der barmherzige Vater dieses Wunder an mir und Pierluigi vollbracht hatte.
Anno domini 1519, im Alter von einundfünfzig Jahren, empfing Alessandro schließlich die höheren Weihen, im selben Jahr, in dem wir in Valentano Pierluigis Hochzeit mit Girolama Orsini feierten. Alessandro strebte nun ganz offen das Pontifikat an, und dies bedeutete: Ich mußte zurücktreten in den Schatten des Lichts, das ihn umgab. Ich war nie seine Frau gewesen, sondern nur seine Konkubine, der er allerdings seit unserer ersten Nacht auf dem Sirenenfelsen die Treue gehalten hat. Aber auch als Konkubine hatte ich nun keinen Anspruch mehr auf seine Nähe.
Ich lebte in meinem Palazzo noch ein paar Jahre mit Ranuccio zusammen, meinem Jüngsten, bis ihn das Kriegshandwerk in die Ferne und in den Tod zog. Ich schrieb Novellen, sang gelegentlich Sonette aus meiner Jugendzeit, plauderte mit Rosella. Ja, trotz ihrer schweren Verfehlung blieb Rosella bei mir – bis sie mich verließ. Ich war vor dem blutigen Sacco , das unser Roma aeterna in seiner tiefsten Seele erschütterte, nach Capodimonte geflohen, von Alessandro geschickt. Hier war ich in Sicherheit, weil die beutegierigen Truppen des Kaisers sich auf Rom stürzten, ohne sich durch die Eroberung kleiner Burgen aufhalten zu lassen. Rosella dagegen, inzwischen gebrechlich geworden, war in meinem Haus zurückgeblieben. Lange hörte ich nichts von ihr, und als ich schließlich in den geplünderten und ausgebrannten Palazzo heimkehrte, erfuhr ich, daß sie noch vor der Ankunft der todbringenden Soldateska in die Katakomben geflüchtet war. Sie tauchte nie wieder auf. Der Herr, der sie gestraft hat, sei ihrer armen Seele gnädig!
1534 wurde Alessandro zum Papst gewählt. Er nannte sich Paul III. Eins seiner ersten Amtsgeschäfte war, seinen vierzehnjährigen Enkel Alessandro zum Kardinal zu ernennen, dazu den wenig älteren Sohn Costanzas. Ich weiß, was man darüber denkt. Ich weiß auch, wie seine Gegner, allen voran der deutsche Ketzer aus dem Augustinerorden, Alessandro schmähten und verunglimpften. Ja, Alessandro sorgte für seine Familie. Ihm ging es darum, ihr Einfluß, Reichtum und Ansehen zu verschaffen. Und sie sollte über seinen Tod hinaus mächtig und reich bleiben. In diesem Punkt blieb er der Schüler Rodrigo Borgias. Was ihn aber von dem Katalanen und seinem Sohn unterschied, war seine Menschlichkeit. Die Borgia verachteten die Menschen; Alessandro liebte sie. Die Borgia mordeten, wo immer sie sich einen Vorteil davon versprachen. Alessandro dagegen haßte Blutvergießen aus tiefstem Herzen, und er litt unter der Glaubensspaltung, weil er sah, welch unendliches Leid sie mit sich brachte.
Ihn quälten zudem Glaubenszweifel bis ins hohe Alter, obwohl oder gerade weil ihn das
Weitere Kostenlose Bücher