Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
nostrae ! Diese Bitte an die Muttergottes konnte man nicht oft genug wiederholen. Der Stellvertreter Christi, der Nachfolger der Apostel, der den Schlüssel des Himmelreichs in seinen Händen hielt, das Oberhaupt der Christenheit, der Pontifex maximus, der noch über den gekrönten Herrschern des Erdenrunds stand – er war gestorben, wie er nie gelebt hatte: elend und einsam. Und jeder Pferdeknecht, ja jede Straßenhure hätte in Rom ein würdigeres Begräbnis erhalten.
Alessandro achtete nicht auf die aufgeregt durch die Straßen eilenden Menschen. In Gedanken versunken, ritt er nicht, sondern ging langsam, sein Pferd am Zügel führend, den Borgo entlang. In der linken Hand hielt er die Mitra des Papstes. Bei der Engelsburg angekommen, warf er einen kurzen Blick hoch zu den Zinnen, von denen er sich einstmals herabgelassen hatte. Jetzt standen dort oben Kanonen und hinter ihnen verteidigungsbereite Soldaten. Die explosive Lage, in der sich die Ewige Stadt nach dem Tod des Papstes befand, sollte ihn in Alarm versetzen. Aber Alessandro fühlte sich wie gelähmt, wie nicht bei sich. Und er war auch nicht bei sich, sondern noch immer bei dem, was er während der letzten Stunden hatte mit ansehen müssen: das Lebensende eines lebenslustigen, gutgelaunten, skrupellosen und immer auf den eigenen Vorteil bedachten Mannes. Noch nicht einmal seine Kinder hatten sich in seiner schwersten Stunde um ihn geschart, und auch er hatte sie mit keinem seiner letzten Worte erwähnt. Die Welt von Macht, Reichtum und Würde brach in der Stunde des Todes zusammen – Rodrigo Borgia, Papst Alexander VI., hatte wirklich der Leibhaftige geholt. Gottes Langmut, seine unendliche Geduld waren an eine Grenze gestoßen. Vielleicht hatten Vater und Sohn Borgia sich sogar selbst vergiftet, aus Versehen natürlich oder weil sie auf jemanden gestoßen waren, der geschickt genug war, ihre tödliche Waffe gegen sie zu richten – dies wäre ein gerechter Tod.
Alessandro stand an der Brüstung der Engelsbrücke, unter sich die braunen Fluten des Tiber, hinter ihm im Laufschritt eine Hundertschaft päpstlicher Soldaten – noch immer hielt er die beschmutzte Mitra des Verstorbenen in der Hand. Sollte er sie della Rovere übergeben, als Zeichen, daß er ihn als künftigen Papst sah? Aber il terribile würde auflachen und sie voller Hohn ins Feuer werfen. Sollte er sie selbst behalten? Er sah den lebenden Papst Alexander vor sich, wie er unter dieser Mitra die Messe in San Pietro las, wie er das Gloria in excelsis deo sang, mit seiner klaren, vollklingenden Stimme, wie er überhaupt in würdevollem Prunk die Heilige Messe zelebrierte, aber er sah ihn auch vor sich, wie er auf dem Stuhle Petri, während der heiligen Kommunion, in Ohnmacht fiel – vielleicht kündigte sich schon während dieser sich in den letzten Jahren häufenden Ohnmachten sein Ende an. Vielleicht erfaßte ihn in der Ausführung eines Sakraments die Ahnung vor dem Abgrund, der ihn in seiner letzten Stunde erwarten sollte.
Alessandro starrte auf die mit Perlen bestickte Mitra, und er schob den Gedanken beiseite, daß man ihn beobachten könnte, einen jungen Kardinal, der selbst sein Pferd führte und eine kostbare bischöfliche Kopfbedeckung in der Hand trug. Klebte an ihr das Blut, das Borgias Hände befleckte, beschmutzten sie die Lügen, die er lächelnd gesprochen, der Verrat, den er gleichgültig begangen hatte? Symbolisierte die Mitra nicht vielmehr das Amt des Pontifex maximus und war somit gar nicht Teil des sündigen Menschen?
Alessandro ließ seinen Blick über die träge dahinfließenden Fluten des Tiber gleiten. Dann hob er ihn: vor ihm die Paläste des Borgo, die Kirchen, die Klöster, die Herbergen der Pilger, das große Hospital, und dahinter verborgen: der vatikanische Palast, die Cappella Sistina, in der er sich bald mit dem Kardinalskollegium zum Konklave zusammenfinden würde, um einen Nachfolger Alexanders zu wählen, und die Basilika San Pietro selbst, auf dem Grab des heiligen Petrus erbaut, mit dem Thronsitz des Papstes, aber auch mit der Pietà des Michelangelo.
Mit seiner Pietà . Mit Silvias Pietà .
Nur von einem kurzen Augenaufschlag begleitet, ließ er die Mitra aus der Hand gleiten und ins braune Wasser des Tiber segeln. Vor dem Aufschlag fing sich die Luft in ihr, sie richtete sich kurz auf, tauchte dann aber ein und versank. Bevor sie endgültig verschwand, drehte sie sich noch einmal, wurde von einem Strudel erfaßt. Es schien, als würde sie
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