Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Und was das Blut deines Vaters betrifft: Die Farnese sind keine Familie, aus der wirklich erfolgreiche Männer hervorgehen, immer nur mittelmäßige Condottieri, die auch noch auf dem Schlachtfeld fallen.«
»Mein Vater starb nicht auf dem Schlachtfeld«, erwiderte Alessandro.
»Richtig, er starb sogar im Bett viel zu früh!« Sie schnaubte verächtlich und verließ den Raum.
Alessandro starrte lange auf die Tür, die hinter ihr zugefallen war. Ihn lähmte ein blindes Nebelgefühl. Nach einer Weile setzte er sich vor den Kamin, der angezündet worden war, weil seine Mutter abends leicht fror und der erste Herbstwind schon kühle Nächte brachte. Bevor die Wärme ihn wohlig umfaßte, fröstelte er erst einmal. In seiner Kindheit hatte er lange Winterabende vor dem Feuer verbracht, zusammen mit den Jagdhunden, und vor sich hin geträumt. Tagsüber konnte er kaum stillsitzen, mußte rennen und mit dem Ball spielen, klettern, Bogen schießen und mit Angelo ringen, aber abends überfiel ihn häufig der Wunsch nach Wärme und Ruhe. Sein Vater strich ihm lächelnd über den Kopf, seine Mutter runzelte die Stirn. Oft gesellten sich Giulia und Angelo zu ihm. Dann lagen sie zu dritt vor dem Kamin. Die Hunde gähnten und schlossen die Augen, aber sie strahlten noch eine zusätzliche Wärme aus. Manchmal erfanden die Geschwister Geschichten, in denen sie Königskinder spielten und sich schworen, einander nie zu verlassen.
Angelo hatte als erster die Ilias und die Odyssee gelesen, und er berichtete mit Schaudern von den Kämpfen und den Toten, von den verschleppten Frauen, die zum Beutegut der Männer gehörten, von Odysseus unendlichem Leiden und seiner unstillbaren Sehnsucht, Alessandro las die beiden Epen bald darauf, kam aber nicht recht voran, weil er Giulia jede Zeile vortragen mußte. Eine Weile fühlte sie sich als Helena, aber Paris war ihr zuwider, trotz seiner Schönheit. Als Hektor um die Mauern geschleift wurde, vergoß sie Tränen. Und sie haßte nun die schöne Frau, wegen der all das Morden geschah. Sie litt mit Andromache und später mit Penelope, die alle falschen Freier von sich wies und treu auf ihren Gatten wartete.
Alessandro seufzte. Es waren wunderbare Abende gewesen. Seine Kindheit lag lange zurück, eine friedliche, im Frühling bunte, im Sommer glasige, im Herbst angenehm frische Welt. Und in der dunklen und feuchten Jahreszeit lag der Schimmer der Kaminfeuer über ihr und erwärmte sie. Aber fast noch schöner als die gemeinsamen Abende am Feuer waren die warmen Tage auf der Isola Bisentina, einer der beiden Inseln im Lago di Bolsena, die der Farnese-Familie gehörten. Hier erzählte ihnen der Vater nicht nur von Amalaswintha, der Gotenkönigin, die auf der Nachbarinsel Martana von ihrem eigenen Ehemann ermordet worden war, er zeigte ihnen auch all die abenteuerlichen Orte der Insel, die dunkle Brunnengrotte, aus der nachts die Geister stiegen, die dichten Gehölze, in denen grausame Fabeltiere hausten, und er führte sie zu den Uferfelsen, auf denen man sitzen, in der Sonne liegen und träumen konnte. Und natürlich schwamm er mit ihnen. Das hieß, in erster Linie mit ihm, dem Zweitgeborenen. Angelo, sein Bruder, war wasserscheu und wollte nicht recht das Schwimmen lernen, im Gegensatz zu Giulia, die sich, sooft sie konnte, ins Wasser stürzte.
In den düsteren, staubigen Skriptorien des Vatikans war die Kindheit in Vergessenheit geraten. An diesem Abend glänzte sie jedoch wieder auf. Rubino, ein ergrauter Jagdhund, der Liebling seines Vaters und einer seiner treuen Begleiter, gesellte sich zu ihm, und Alessandro legte den Kopf auf sein Fell.
Überhaupt schien er erst jetzt, vor diesem Kindheitskamin in der heimischen Burg, das Geschehen der letzten Monate zu begreifen. Es war, als hätte er dauernd von einer Haut in die andere schlüpfen müssen. Er kannte sich schließlich nicht mehr selber. Gnothi sauton , dies stand am Apollontempel zu Delphi. Erkenne dich selbst ! Sein Lehrer Pomponeo Leto hat diese Aufforderung immer mit hoher Stimme und erhobenem Zeigefinger verkündet und meist noch Pindars Botschaft angefügt: Werde , der du bist .
Aber wer war er? Gerade jetzt wußte er weniger denn je, wer er war, zu wem er werden sollte. Er fühlte sich verführbar und gleichzeitig in ein so feines Netz gesponnen, daß er seine Fesseln gar nicht sah. Ein Netz, wie Hephaistos es gesponnen hatte, als er seine Gemahlin Aphrodite und den Kriegsgott Mars überführen wollte. Da lagen sie, nackt, in
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