Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
manche logen so schamlos, daß die Engel im Himmel erröteten.
»Wenn das Volk frech wird, dann besticht man es mit Geld und Wohltaten, mit Karneval, Umzügen und ein paar Hinrichtungen.« Das hatte Clarissa gesagt, und Giulia hatte genickt. »Wer dann immer noch den Mund aufreißt, dem schneidet man die Zunge heraus.«
Ihr Lateinlehrer erzählte ähnliche Geschichten und kommentierte sie mit dem Ausruf: O tempora , o mores !
»Borgia ist der kommende Mann«, sagte Alessandro mit ruhiger, kalter Stimme. »Daran glaubt wenigstens unsere Mutter, und sie schmeichelt sich bei ihm ein.«
Silvia war bekannt, daß Kardinal Borgia, den sein Onkel, Papst Calixtus III., schon in jungen Jahren zum Kardinal ernannt hatte, nicht nur Titularbischof von Santa Cecilia, sondern auch Vizekanzler der Kurie war und daher sehr reich und mächtig. Rosella hatte seine zahlreichen illegitimen Kinder erwähnt, und sie konnte sogar einige ihrer Namen nennen: Cesare, Juan, Lucrezia, Jofrè. Er sei ein bescheidener Esser, aber unersättlich, was seinen Appetit auf Frauen betreffe; raffgierig, aber gleichzeitig auch freigebig.
Silvia warf sich noch einmal an Alessandros Brust. Es war ihr gleichgültig, was ihre Bewacher dachten und ihrem Vater erzählen würden. Sie hatte ihren Helden und Befreier wiedergetroffen! Sie wollte nichts weiter über einen Kardinal hören, der sie gar nicht interessierte. Sie wollte etwas von Alessandros Flucht erfahren, und vielleicht erwartete sie auch ein kleines Geständnis: Er habe sie vermißt. Könnte er ihr nicht sogar noch etwas anderes gestehen?
Alessandro drückte sie an sich. O Gott, diese Arme sollten sie nie mehr loslassen! Ein Wort von ihm, und sie folgte ihm auf ihrem Schimmel, sie flogen davon, keiner der Wachen könnte ihnen noch folgen und sie einfangen.
»Ach, Alessandro, ich langweile mich hier«, flüsterte sie. »Zuerst hat mich mein Vater ins Kloster gesteckt …«
»Da muß ja so einiges vorgefallen sein«, sagte er onkelhaft.
Sie sah ihm ins Gesicht. Mit leicht vorgerecktem Kopf erwiderte er ihren Blick. Seine Augen schauten noch immer liebevoll, gütig, aber auch mit einem spöttischen Blitzen, das sie verwirrte.
Sie flüsterte: »Ich habe dich so vermißt!« Sie merkte, wie eine glühende Röte ihr Gesicht überzog, und sie versteckte erneut ihr Gesicht an seiner Brust.
Alessandro antwortete nicht. Aber er schob sie auch nicht weg. Nach einer Weile nahm er ihren Kopf in seine Hände und sah ihr forschend in die Augen. Er öffnete seine Lippen, als wolle er etwas sagen, unterließ es aber dann und drückte ihr statt dessen einen Kuß auf die Stirn.
O Gott, auch er liebte sie!
»Ich kann hier nicht länger bleiben«, flüsterte er. »Wenn man mich erwischt … Ganz Rom spricht über meine Flucht. Der Heilige Vater ist wütend, er will mich in den tiefsten Verliesen schmoren lassen.« Und nun endlich berichtete er ihr von seiner waghalsigen Flucht aus seinem Kerker. Noch nachträglich wurde ihr heiß und kalt vor Angst. Sie bewunderte seinen Mut. Er war wahrhaftig ein furchtloser Held.
»Ich gehe nach Florenz; dort bin ich in Sicherheit und kann meine Studien erweitern. Mein Lehrer Leto hat mich an Lorenzo de’ Medici und seine Accademia Platonica empfohlen.«
Sie schauten sich in die Augen. Kaum war er gekommen, verließ er sie schon wieder. Er bewies ihr seine Liebe, durfte sie aber nicht leben.
»Darf ich nicht mitkommen?«
»Ach, kleine Silvia …« Er umarmte sie noch einmal kurz, ein wehmütiger Blick – dann schwang er sich aufs Pferd. »Ich werde dir schreiben, meine Silvia. Wir sehen uns wieder, ich weiß es, die Sterne lügen nicht.«
Er winkte ihr, drehte sein Pferd, und mit Tränen in den Augen sah Silvia den rotschwarzen Mantel davonwehen. »Ich werde auf dich warten«, wollte sie ihm noch nachrufen, aber ein Aufschluchzen erstickte ihre Stimme. Alessandro tauchte in einen Hohlweg, schaute sich noch einmal um und winkte. Sie konnte ihre Augen nicht von ihm lassen. Auch als er schon lange verschwunden war, starrte sie noch in den Hohlweg, durch den sein rotschwarzer Mantel zu schweben schien.
Langsam ritt sie zurück nach Frascati. Tränen rannen ihre Wangen hinunter. Leise vor sich hin fluchend folgten ihr die Bewacher.
Während der nächsten Wochen träumte sie nachts von Alessandro, und auch tagsüber konnte sie ihre Gedanken kaum von ihm lösen. Die täglichen Ausritte zu den zwei Pinien, zwischen denen sie sich begegnet waren, zu dem Hohlweg, durch den er
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