Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Frascati. Auf dem Land konnte sie ausreiten und Zwiesprache mit der Natur halten, in Rom durfte sie das Haus nur verlassen, um zur Messe zu gehen, und dies nie allein. Ihr Vater begleitete sie zuweilen nach Santa Maria sopra Minerva, und wenn er nicht gar zu niedergedrückt war, zogen sie anschließend durch das bunte und laute Menschengewühl zum Grab der Mutter in Santa Maria ad Martyres, zum altrömischen Pantheon. Der Vater kniete vor der Grabnische der Familie und betete, obwohl um sie lautes Treiben herrschte und die Kurtisanen mit großem Gefolge hofhielten. Silvia sah Tränen in seinen Augen; er bewegte stumm seine Lippen. Sie selbst versuchte dann auch, die Jungfrau Maria und die Märtyrer um Verzeihung zu bitten für all die Sünden, die ihr noch nicht erlassen waren, weil sie ihre Verfehlungen bisher nie gestanden hatte. Es hallte unter der großen Kuppel, und durch die runde Öffnung in der Mitte schickte die Sonne einen blendenden Strahl auf die Menschen.
Während der Vater sich noch tiefer bückte und nun seine gefalteten Hände gegen seine Stirn schlug, beobachtete Silvia die elliptische Form des Sonnenlichts, das sich auf sie zu zubewegen schien. Für einen Augenblick überfiel sie die Angst, sie müßte geblendet niederstürzen wie Saulus, der aber zum Paulus bekehrt worden war, während sie ewig in sündiger Dunkelheit verharren mußte. Aber als das Licht sie schließlich traf, schloß sie einfach die Augen – und nichts geschah! Gott hatte sie übersehen! Hatte sie nicht auserwählt!
Während der nächsten Wochen betete sie viel. Sie trug nur weiße Kleider, die täglich gewaschen werden mußten. Sooft es ging, holte sie sich den kleinen Sandro und trug ihn durch die Räume des Hauses, wiegte ihn auf ihren Armen, strich ihm die Härchen aus der Stirn und sang ihm ein Schlaflied. Gelegentlich tröpfelte sie ihm auch Ziegenmilch auf die Lippen. Am liebsten wäre es ihr gewesen, die Wiege hätte in ihrem Zimmer stehen können, aber die Amme reagierte mit heftiger Eifersucht. Und natürlich konnte sie dem Kleinen keine Brust geben, obwohl ihr schon deutlich Rundungen wuchsen.
Rosella begutachtete sie einmal, als Silvia mit ihr zusammen in Rosenwasser badete, und nickte anerkennend. »Noch klein, aber wohlgeformt.« Sie sah Silvia prüfend an. »Steh mal auf!«
Silvia gehorchte. Das Wasser tröpfelte an ihrem Körper ab, und eine Gänsehaut überlief sie.
»Du wirst einmal sehr schön, Piccolina … Contessina!«
Silvia ließ sich verschämt wieder ins Wasser gleiten.
»Manche Männer lieben schlanke, jungfräuliche Körper mit engen Öffnungen … andere dagegen mögen mütterliche Brüste.« Rosella fuhr mit ihren Händen über ihren Oberkörper und hob ihre beiden Brüste. »Sie sind wie Kinder … wenn sie nicht gerade ihren gewaltsamen Fickrausch austoben müssen.«
Silvia erschrak über die Wortwahl, die sie bei den Wäscherinnen vermutete, die aber in ihrer Gegenwart vermieden wurde.
» Vivamus , mea Silvia , atque amemus , laßt uns leben, laß uns lieben«, rief Rosella lachend, erhob sich schwungvoll und ließ sich ein weites Leinentuch reichen. » Vita brevis , das Leben ist kurz … Komm, laß uns ein wenig singen!«
Als Rosella abgetrocknet war, zog sie sich ein leichtes Tunika-Kleid an, ließ sie sich die Laute bringen und begann zu ihrem Spiel ein weiteres Gedicht, das Silvia nicht kannte, zu rezitieren, und als sie Silvias fragenden Blick sah, warf sie kurz ein: »Ovids Ars amatoria . Unser Evangelium!«
Silvia mußte wieder daran denken, daß Rosella vor dem Tod der Mutter ihre Kammerfrau war, daß man ihren Vater vor dem eigenen Haus ermordet hatte, ihre Mutter eine Kupplerin, ihre Schwester eine Straßenhure war und der Bruder überhaupt keinen Beruf hatte. Und jetzt badete sie in Rosenwasser, trug die Gewänder der Familie Ruffini und legte sich zu ihrem Vater ins Bett. Die Vorstellung schüttelte Silvia vor Ekel und trieb ihr gleichzeitig Hitzewellen durch den Körper. Aber sie bewunderte Rosella auch. Rosella hatte in kurzer Zeit Latein gelernt, ihre Finger hüpften, ohne sich zu vergreifen, über die Saiten der Laute, und wenn sie sang, glaubte man die reine, sanfte Stimme der Engel zu hören.
Doch liebte Rosella ihren Sandro genug? Nur selten nahm sie ihn in den Arm, um ihn zu küssen und zu liebkosen, sie nannte ihn häufig »du Bastard, du kleiner«, und sobald er zu weinen begann, übergab sie ihn mit einem unwilligen Ausdruck der Amme. Silvia fragte sich auch, ob
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