Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Pferdeknechte brüllten nach dem Vater. Er eilte die Treppe herunter. Als er sah, daß man eine eingewickelte Leiche auf eine Bahre legte, erstarrte er. Er faßte sich an den Hals und bedeckte dann sein Gesicht mit den Händen. Schließlich bekreuzigte er sich und schlug die Decke zurück. Noch hatte niemand ein erklärendes Wort geäußert. Alle starrten den Vater an, danach die Tote. Silvia sah ihre Mutter zum letzten Mal – mit einem schwarzen Kranz um den Hals, einem aufgerissenen Mund und halbgeöffneten, starren Augen. Rosella wollte sich jammernd über sie werfen, aber Alessandro Farnese hielt sie zurück, und sie warf sich an seine Brust. Er befreite sich von ihr und trat mit dem Vater noch näher an die Mutter heran. Sie bekreuzigten sich erneut, dann berührte der Vater die Tote mit den Lippen. Seine Miene war versteinert, aschfahl sein Gesicht. »Er hat es gewußt!« flüsterte er tonlos. Auch Silvia beugte sich noch einmal über die Mutter.
Der Vater befahl, die Tote ins Haus zu bringen und einen Priester zu rufen. Dann ließ er sich erzählen, was geschehen war. Wortlos umarmte er schließlich den Retter seiner Tochter.
Alessandro Farnese blieb bis zum Abend bei ihnen, und Silvia spürte, wie sie sich darüber freute. Ihr Vater dankte ihm immer wieder. Tränen rannen den Männern über die Wangen. Silvia versuchte, das Zittern ihres Körpers zu unterdrücken. Sie starrte auf Alessandros lange, feingliedrige Finger, als könnten sie ihr Trost spenden, als läge in ihrer Berührung ein tiefer Segen. Dann schaute sie ihm ins Gesicht: liebevolle Augen voller Mitleid und Güte. Er sagte etwas, was sie nicht verstand, sie hörte nur die weiche Stimme. Er war ihr so seltsam vertraut …
Langsam ließ das Zittern nach.
Der Vater jammerte. »Ich verstehe es nicht. Ich bin ein friedlicher Mann, noch nicht einmal besonders reich, habe keine Feinde … O Gott, zuerst meine Söhne, jetzt meine Frau, warum muß der Herr mich so strafen!« Und er brach wieder in Schluchzen aus.
Alessandro nickte und warf dann, schmerzlich lächelnd, einen Blick auf Silvia. »Eure wunderbare Tochter hat der Herr verschont«, sagte er, ohne seinen Blick von ihr abzuwenden. »Er muß mit ihr noch viel vorhaben.« Er zupfte sich seinen Jagdkittel zurecht und strich sich über die Haare.
Der Vater drückte Silvia an sich. Sie spürte seine Wärme, den vertrauten Geruch. Ach, ihr geliebter Vater, ohne ihn könnte sie nicht leben! Für einen Augenblick schien die geschändete und ermordete Mutter nicht mehr zu existieren. Die beiden Männer blickten Silvia an und schienen sich dann gegenseitig einer Prüfung zu unterziehen.
»Die Orsini sind für uns verloren«, sagte der Vater, und seine Stimme wurde sachlich und kalt. »Wenn erst einmal durchsickert, was geschehen ist … Hoffentlich sind andere Familien nicht so anspruchsvoll und übersehen das Unglück. Sonst bleibt nur das Kloster.«
Entsetzt schrie Silvia »Nein!«.
»Ist ja gut, mein Püppchen«, versuchte ihr Vater, sie zu beruhigen.
»Sie blieb unberührt, das ist sicher«, flüsterte Alessandro dem Vater zu. »Es gibt keinen Grund, Ihr versteht …«
Dann starrten die Männer stumm in die verrußte Öffnung des Kamins. Silvia hockte, in Decken gehüllt, dabei. Immer wieder lief das blutige Geschehen vor ihren Augen ab, und immer strahlender erschien ihr der von Gott gesandte Retter.
2. K APITEL
Es war unfaßbar, und er glaubte zu träumen. Doch was er sah, war kein Traumbild, er konnte aufstehen und sich bewegen, der Körper gehorchte ihm – aber weiter als bis zur Tür gelangte er nicht. Der Raum war verschlossen. Draußen würfelten lärmend die Wachen. Ja, er saß im Kerker. Vor ein paar Tagen war er zur Jagd gegangen, hatte das Wild nur nachlässig verfolgt, weil er den Tag in der freien und frischen Natur genoß, er stieß auf Wegelagerer, verhinderte, daß ihrem ruchlosen Überfall nicht nur eine, sondern drei Frauen zum Opfer fielen – und heute saß er in einer Zelle im Turm der Engelsburg, wie ein Verbrecher, er, von Vaterseite ein Farnese, von Mutterseite ein Caetani, unter seinen Vorfahren ein Papst und viele Kardinäle, er saß im Kerker und wußte nicht, warum. Er, der apostolische Skriptor, hatte einer Jungfrau das Leben und die Ehre gerettet – und dies war nun die Antwort des Papstes. Aber so waren die Verhältnisse unter Innozenz VIII. Cibò: Rechtlosigkeit und Wegelagerei, ja, bürgerkriegsartige Kämpfe im Umland der Ewigen Stadt. Sogar in Rom
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