Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
kleidete ihn ein Kammerdiener an, und jederzeit stand eines der vielen Mädchen im Haus bereit. Fortuna war eine Dirne, das sagten schon die Alten, heute war man Herrscher und morgen Sklave, die Griechen verkauften ganze Städte in die Sklaverei – nein, Sklave würde er nie, und nie würde er lange eingekerkert bleiben, nicht er, Alessandro Farnese, der Sohn eines Kriegergeschlechts.
Er starrte auf das Insekt, das bewegungslos abwartete. Der zweitgeborene Sohn eines Kriegergeschlechts! Und das bedeutete: Titel und Lehen erbte sein Bruder Angelo, der Erstgeborene mußte das Geschlecht fortpflanzen, während dem zweiten Sohn der Kirchendienst blieb. So war es Onkel Caetani ergangen und weiteren fünf Kardinälen Caetani, nicht zuletzt dem Urahn Benedetto, Papst Bonifaz VIII., den die Mutter nie aufhörte, als leuchtendes Vorbild im Munde zu führen.
Ach, seine Mutter! Seit sein Vater vor einem Jahr gestorben war, herrschte die Mutter über die Familie, nicht etwa sein älterer Bruder Angelo, der bestimmt war, Condottiere zu werden. Dabei grübelte Angelo lieber über Gott nach und fragte jeden, warum eigentlich Christus, Gottes einziger Sohn, am Kreuz hatte sterben müssen.
Eine dumme Frage. So war es eben. Jesus von Nazareth starb am Kreuz, um die Sünden der Welt auf sich zu nehmen, um sie alle zu erlösen. Basta. Und auf zum fröhlichen Jagen. Zum Fechten und Rennen. Zum Ringen und Tanzen. Gut – auch um Cicero zu lesen. Seine Lehrer an der Accademia Romana hatten sich über die Bibelgläubigen lustig gemacht. »Abergläubische Kinder«, erklärte Pomponeo Leto und fuhr lachend fort, die Messe sei antiken Opferkulten nachempfunden, sei eigentlich heidnisch, Gotteslästerung, der wahre Gott, so es ihn gebe, brauche keinen Weihrauch und protzige Häuser, er sei fern, unaussprechbar, unnahbar, nicht zu fassen, ein deus absconditus , die Natur bestehe aus kleinen Teilen und zerfalle nach dem Tod, alles vergehe, das habe schon Lukretius Carus gesagt, De rerum natura , und vor ihm die Griechen, Demokritos zum Beispiel …
Aber sein gottsuchender Bruder Angelo hatte zu heiraten, Kinder zu zeugen und in einer Schlacht zu fallen, während er als der Jüngere langweilige Messen lesen sollte, Beichten abnehmen, Sakramente spenden, und bevor er das tun durfte, mußte er noch langweiligere breves und bullae schreiben, in dunklen, staubigen Skriptorien hocken, mit weindunstigen Prälaten Kurtisanenwitze austauschen und immer wieder vor dem Papst buckeln.
So wollte es seine Mutter.
Und die Folge war: Er saß im Kerker, von einem Papst eingesperrt, unter dem Bestechung und Verbrechen herrschten. Dabei hatte das Sagen im Vatikan sowieso Kardinal della Rovere, der starke Mann im Heiligen Kollegium. Er hatte den Cibò auf den Stuhl Petri gehievt, aber er ließ auch dessen Nepoten- und Günstlingswirtschaft zu.
Wann kam endlich seine Mutter und kaufte ihn hier frei? Vielleicht wußte sie noch nicht … Man mußte ihr Boten nach Capodimonte schicken … Aber der Kastellan hatte doch von einer Madonna gesprochen. Damit konnte er nur seine Mutter meinen. Jeder in Rom kannte seine Mutter, Madonna Caetani, wie sie sich nannte. Daß sie jetzt eine Farnese war, interessierte sie wenig. Die Caetani standen haushoch über den Farnese, glaubte sie, waren ein kuriales Schwergewicht – und die Farnese? Als Condottieri hatten sie sich mit Söldnern herumgeprügelt. Allerdings mußte man sich fragen, warum seine geliebte Mutter Giovannella Caetani dann Pierluigi Farnese geheiratet hatte. Hatte nicht sogar schon der Bruder des Vaters eine Orsini in sein Haus geholt? Die Farnese brauchten sich vor niemandem zu verstecken, vor keiner Caetani, keiner Orsini oder Colonna. Und schon gar nicht vor der Familie des Papstes. In den Farnese steckte die unverbrauchte Kraft eines klugen und schnellen Leoparden, sie waren Kämpfer, Sieger …
Aber sein Vater war seit einem Jahr tot, seine Mutter dagegen erfreute sich bester Gesundheit. Sie verkehrte mit Kardinälen, wie Giuliano della Rovere, auch mit den Spaniern, wie Rodrigo Borgia, sogar mit dem Heiligen Vater stand sie auf bestem Fuß – weil sie ihnen zu schmeicheln wußte. Seine Mutter beherrschte alle Formen der Verstellung.
Morgen würde sie in den Vatikan eilen und Papst Innozenz bitten, ihren pflichtvergessenen Heldensohn freizulassen. Schließlich hatte er nicht nur Hirsche gejagt, sondern die junge Ruffini gerettet. Ganz Rom würde davon sprechen. Er hatte dem Verbrecher den Speer in die
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