Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
Möglichkeiten, sich Flüssigkeiten hinter die Binde zu kippen, dass man sie keinesfalls über einen Kamm scheren sollte. Im Englischen Jäger kann man einige von ihnen studieren. Da gibt es den Quartalstrinker und den Dauertrinker, den Gelegenheits- und den Anlasstrinker. Manche trinken Marias Roten, weil er ihnen schmeckt, den alt Eingesessen von der Bergstraße schmeckt er nicht, aber ihr Geiz lässt ihnen keine Wahl. Die einen trinken mit schlechtem Gewissen, die anderen mit gutem. Der schöne Herbert behauptet, er trinke nur, damit Maria einen Verdienst habe; fehlt nur noch, dass Maria eines Tages sagt, sie betreibe ihre Kneipe bloß, damit wir was zu trinken hätten. Mein Freund Fatty gehört zu den Leuten, die sich ein Besäufnis vornehmen wie einen Theaterbesuch; sie schauen in den Kalender, suchen sich einen günstig gelegenen Freitag aus und streichen ihn rot an: Hoch die Tassen! Ich selbst würde mich eher als einen Bauchtrinker bezeichnen, der dann zum Alkohol greift, wenn es die innere Stimme befiehlt. Selbst wenn sie es mitten in der Woche um 10 Uhr morgens befiehlt. Ob das ein Laster ist, sollen andere entscheiden. Christine machte einmal eine Andeutung in diese Richtung, da verwies ich nur auf Tischfußball-Kurt, der niemals Alkohol trinkt. Nie! Dafür Orangensaft in rauen Mengen, pur, als Schorle, im Müsli, auf Vanilleeis, mit Früchten. Grauenhaft.
    Bei Marc ist das alles anders. Marc trinkt äußerst ernsthaft, nicht einfach zum gelegentlichen Vergnügen oder nebenher, sondern gründlich, mit Vorsatz und Kenntnis, wie einer, der Bodenproben in einem Naturschutzgebiet nimmt. Bier lässt er in der Regel links liegen, Wein reichen sie ihm bei den zahlreichen Empfängen und Premieren, die er besuchen muss; seine Leidenschaft aber gilt schärferem Zeug, Whisky, Grappa, Aquavit. Über schottische Brennmethoden und französische Destillationstricks weiß er alles. Bevor der Absinth wieder in Mode kam, hielt Marc Covet als einziger Heidelberger – man verzeihe die Formulierung – dessen Fahne hoch. Nicht ohne Eitelkeit übrigens, denn Covet ist ein verdammt selbstgefälliger Snob. Macht gerne einen auf Zyniker und Kunstkenner; und wenn sich in der Nähe ein Weiberrock blicken lässt, läuft er zur Hochform auf: Showmensch Marc Covet. Seine größte Rolle allerdings spielt er, wenn er sich selbst nachahmt. Covet imitiert Covet und lacht sich darüber kaputt: wie er säuft, wie er seine Marotten pflegt, wie er sich über Gott und die Welt beklagt. Alle Achtung, diese Fähigkeit haben nur wenige.
    Wahrscheinlich muss er deshalb so viel trinken.
    Wie auch immer, attraktiv ist der Mann. Und er weiß das. Rennt Woche für Woche zum Friseur, um diese Attraktivität zu bewahren; sein Bart ist stets auf dieselbe Millimeterlänge gestutzt, seine Lockenpracht immer in dem gleichen satten kastanienbraunen Ton gehalten. So etwas schafft Eindruck. Sein Friseur säuft übrigens auch. Reine Schutzmaßnahme, sagte Marc, als ich ihn wieder einmal wegen seines Schönheitswahns und seines notorischen Durstes aufzog; Präparation von innen und von außen, um gegen die Hässlichkeit dieses Lebens gefeit zu sein. So sagte er und schaute ungewöhnlich ernst drein, aber ich glaubte ihm nicht.
    Auch Marc Covet gelang es nicht, die Identität des Pfeffersprayers zu lüften. Dabei kennt er nach eigener Aussage und nach der seines Chefs jeden Stein in Heidelberg, jeden Einwohner, der einmal in der Zeitung gestanden oder einen zähnebleckend aus dem Lokalteil angegrinst hat, kennt sämtliche Affären, jedes Getuschel, jeden Klatsch. Er weiß, was politisch gespielt wird und wer sich mit wem über wen oder was zerstritten hat. Marc Covet ist, mit einem Wort, der Chronist unserer Epoche. Noch ein Grund für seine Sauferei.
    Und ein Grund für seinen Arbeitgeber, über seine Eskapaden hinwegzusehen. Zur einzigen Heidelberger Tageszeitung, den stockkonservativen Neckar-Nachrichten , hatte es bis in die 90er-Jahre hinein eine ernst zu nehmende, wenngleich ideologisch kaum unterscheidbare Konkurrenz gegeben; man befehdete sich nach Kräften, und die härtesten Kämpfe wurden auf den Lokalseiten ausgefochten. Irgendein pfiffiger Schreiberling der Neckar-Nachrichten hatte eines schönen Tages die Idee, den jungen Covet in die Lokalredaktion zu berufen, und kurz danach machte das andere Blatt dicht. Es wird nicht allein an dem neuen Redakteur gelegen haben, aber mitentscheidend war dieser Schachzug schon. Marc ist Perfektionist, sein Stil

Weitere Kostenlose Bücher