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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Tänzer war und mich als Fünfjährigen in die Kultstätte Betzenberg eingeführt hatte. Seine Stunde schlug zwei Jahre später, als ich durchs Abitur rasselte. Der Sohn eines Pfarrers, und wegen Latein durchgefallen! Das traf ihn tief.
    Es traf ihn so sehr, dass er mir wohl am liebsten eine gescheuert hätte. Ich war nämlich zu spät und übernächtigt zur entscheidenden Klausur erschienen und hatte deshalb die nötige Punktzahl verfehlt. Dann aber kam meinen Eltern zu Ohren, dass ich die Nacht vor der Prüfung im Hause des Gemeindebibliothekars, dessen Tochter als läufiges Mädchen galt, zugebracht hatte; und schon regte sich in meinem Vater (der vor seiner theologischen Laufbahn ein echter Schwerenöter gewesen war) ein klein wenig Verständnis für seinen triebgesteuerten Sohn, auch wenn er es nicht zugab. Wieder etwas später jedoch machte ein neues Gerücht die Runde, und dieses besagte, dass es mein bester Freund jener Zeit, unser Schulsprecher, gewesen war, der sich mit dem Mädchen vergnügt hatte, während ich mit ihrem Bruder, dem Sohn des Gemeindebibliothekars also, bis zur Morgendämmerung im Hobbykeller gesessen und gekifft hatte, was die Lunge hergab.
    Als mein Vater das hörte, zitierte er mich, schwer getroffen an Körper und Seele, in sein Arbeitszimmer. Er wies auf die vergilbten Fotos, die über seinem Schreibtisch hingen: Schau dir unsere Vorfahren an, sagte er. Sie alle waren Meister darin, erfolglos, nutzlos, verantwortungslos durchs Leben zu stolpern, und nun hast du dich ihrer als würdig erwiesen.
    Wieso?, fragte ich. Haben die auch gekifft?
    Max, antwortete mein Vater ernst, und man sah, wie schwer es ihm fiel, die richtigen Worte zu finden. Max, sagte er, über unserer Sippe liegt ein Fluch, glaub mir das. Ein Fluch. Wer den Namen Koller trägt, den hat das Schicksal zum Verlierer bestimmt.
    Sicher, mein Vater ist Pfarrer, und er hielt sich für die einzige Ausnahme seines unglücklichen Geschlechts. Trotzdem habe ich damals nicht über seine pathetischen Worte gelacht, und genauso wenig lache ich heute darüber. Das Abi holte ich im Folgejahr nach, aber auch das änderte nichts. Leute wie ich mögen schneller sein als ein Streifenwagen, dem Fluch entkommen sie nicht.
    Ich betrachtete die Schachfiguren vor mir. Die Partie stand auf Messers Schneide. Meine Türme waren zur Bewegungslosigkeit verurteilt, dafür wurde es für Herberts Dame allmählich eng. Es war ein gutes Gefühl, vor dem Schachbrett sitzen und in Ruhe ein Bier trinken zu können, ein gutes Gefühl, dem Chaos in der Plöck entronnen zu sein – aber was hiervon war mein Verdienst? Was hatte ich dazu beigetragen? Hier lief doch ein Spiel, dessen Regeln mir keiner mitgeteilt hatte. War ich ein Turm, ein Springer? Oder reichte es mal wieder nur zu einem Bauern?
    Der schöne Herbert verzog sein Gesicht zu einer leidenden Grimasse. Nun konnte es nicht mehr lange dauern, bis er mich matt setzte.
    Ich befühlte meine linke Augenpartie. Der Bluterguss über dem Jochbein schmerzte. Es war dreist gewesen, mir in diesen Damenwäscheladen zu folgen und so lange vor der Umkleidekabine zu warten, bis ich aus einem Vorhangspalt herauslugte. Wer tat so etwas? Wer konnte so kräftig und präzise zuschlagen? So präzise, dass ich nicht ohnmächtig geworden war, sondern nur eine Weile bewegungsunfähig auf dem Boden herumgelegen hatte, wie in dicken, wattierten Nebel eingehüllt. Während ich vor mich hinstöhnte, waren in der Ferne gedämpfte Frauenstimmen und das helle Bimmeln der Türklingel zu hören.
    Und dann? Irgendwann gelang es mir, mich aufzurappeln. Ich stellte den Hocker wieder hin und ließ mich auf ihn fallen. Rücken und Kopf an die Wand gelehnt, stöhnte ich ein Weilchen weiter, betastete die schmerzenden Stellen und versuchte einen Sinn hinter all diesen absurden Handlungen zu entdecken. Warum hatten es plötzlich alle auf mich abgesehen? Ein Silberrücken mit Pfefferspray, zähnebleckende Streifenpolizisten, ein geheimnisvoller Boxer. Liefen nur noch Verrückte durch die Stadt? War zu viel Testosteron in der Luft?
    Es blieb bei diesen stummen Fragen. Keiner antwortete, keiner half mir. Ich richtete mich auf, setzte zwei wacklige Beine in Bewegung, torkelte an der Verkäuferin vorbei und trat hinaus auf die Straße.
    Alles ruhig. In der Hofeinfahrt gegenüber lag mein rotes Fahrrad.
    Eine halbe Stunde später war ich zu Hause.
    »Jaja«, brummte Herbert von der anderen Seite des Schachbretts. »Jaja, schau, schau.« Er

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