Bergfriedhof
unnachahmlich, und was er schreibt, ist gründlicher recherchiert, stichhaltiger, aktueller als der Rest der Zeitung. Vor allem aber haben seine Beiträge jenes gewisse journalistische Etwas: eine Mischung aus distanzierter Anteilnahme, kumpeligem Schulterschluss und kauziger Selbstironie – Eigenschaften, die sich, so könnte man meinen, ausschließen. Nicht bei Marc Covet. Er hätte ein Lokalblatt im Alleingang aufmachen können, und es wäre der Renner geworden. Aber er wollte noch Zeit für seinen Grappa haben. Und für die Weiber natürlich.
Ich erwischte ihn ausnahmsweise zu Hause. Das ist deswegen die Ausnahme, weil er dort nur eine eiserne Ration Alkohol aufbewahrt. Nicht, dass er in den eigenen vier Wänden keinen Tropfen hinunterbekäme; er trinkt nun mal lieber in der Öffentlichkeit, unter den Leuten, die sich tags darauf in seinen Artikeln wiederfinden.
Covet saß also nicht in seiner geliebten Hinterbühne , dem Theatercafé, sondern lag zu Hause auf dem Sofa und lauschte meinem Bericht. Ich beschrieb ihm den beigefarbenen BMW, entwarf ein Phantombild des Alten – er schüttelte nur den Kopf. Jedenfalls denke ich mir das, schließlich telefonierten wir.
»Marc, streng dich ein bisschen an«, sagte ich. »Du hast einen Ruf zu verlieren.«
»Ruf?«, gab er unwirsch zurück. »Ich habe überhaupt nichts zu verlieren und schon gar keinen Ruf.«
»Na, hör mal, du als Heidelberger.«
»Als Heidelberger Lokalgröße, ja? Wolltest du das sagen? Ich danke. Aber jetzt pass mal auf, du komischer Schnüffler: Ich versuche mir die ganze Zeit jemanden aus dem Kreis hiesiger Besserverdienender vorzustellen, der dich engagieren würde.«
»Und?«
»Gibt es nicht.«
»Aber der Typ hat mich engagiert.«
»Ein Widerspruch in sich. Ein Oxymoron. Schwarzer Schimmel.«
»Apropos: Der BMW hatte schwarze Ledersitze. Außen beige. Fällt dir dazu was ein?«
Er gähnte. »Nein, nichts. Was ist das überhaupt für eine Farbe: beige? Die gibt es nicht als Autolack. Wahrscheinlich meinst du ocker oder gelbbraun.«
»Meine ich nicht. Ich meine beige.«
»Eklige Farbe«, murmelte er.
»Wieso eklig? Die gleiche Farbe wie bei deinen Whiskys, die du immer ...«
»Was?«, brüllte er. »Gehts dir noch gut? Whisky ist nicht beige! Du hast ja keine Ahnung, Max! Goldgelb, bitte schön, so sieht ein Whisky aus. Oder bernsteinfarben, so wie durchsichtiges Messing, wie der Flaum einer Rotkehlchenbrust. Verstehst du das?«
»Bravo, Marc, so kenne ich dich! Endlich bist du wach. Fangen wir noch mal von vorne an.«
Er seufzte. »Du kannst mich mal, Max ...«
Pause. Schenkte er sich ein? Spülte er bernsteinfarbenes Hochlandgold durch seine Hirnwindungen? Oder linste er hinüber zu dem großen Spiegel und kontrollierte seine Frisur?
»Was ist los, Marc? Schlechter Tag heute?«
»Kann man wohl sagen«, seufzte er wieder.
»Hast du Besuch?«
»Leider nicht. Oder Gott sei Dank. In meinem derzeitigen Zustand ... Weißt du, gestern Abend ... im Grunde ist Hopper daran schuld.«
»Hopper? Der Schauspieler?«
»Nein, der Maler. Edward, nicht Dennis. Der mit den bunten Schwimmbecken.«
»Verstehe. In einem von denen bist du gestern abgesoffen.«
»So ungefähr. Der Kunstverein hatte Ausstellungseröffnung.« Jetzt gähnte er wieder. »Jugendskizzen von Hopper. Total minderwertiges Zeug, nicht ein Stück von Belang dabei. Das muss er unter der Schulbank zusammengekritzelt haben.«
»Interessant.«
»Superinteressant, du sagst es. Das Beste an der ganzen Ausstellung war der Trollinger, und das Beste am Trollinger war, dass wir ihn um zwei ausgetrunken hatten. Sonst läge ich jetzt noch im Koma.«
»Und wie soll ich da meinen Fall aufklären? Hast du dir das vielleicht mal überlegt, hm?«
»Ich hasse diese Kunstbanausen«, murmelte er. »Beige soll mein Whisky sein, das muss man sich mal ...«
»Kunstbanause stimmt«, sagte ich, »aber mit intakter Leber.«
»Spießer. Was wolltest du nun von mir wissen?«
»Denk noch mal nach, wer der Typ vom Bergfriedhof sein könnte. Du kennst doch diese Leute alle.«
»Den nicht. Der muss von auswärts sein.«
»Ein Mann mit Kohle und Einfluss, das kann doch nicht so schwer sein. Ein Politiker vielleicht, mit zu viel Übergangsgeld. Wirtschaft. Rhein-Neckar-Mafia.«
»Mafia?«
»Kurpfälzer Camorra, was weiß ich. Na, komm schon!«
»Tut mir leid, da muss ich passen. Keine Aktennotiz vorhanden. Dieser Mann ist in keinem Heidelberger Verein Kassenwart, kein Straftäter, kein
Weitere Kostenlose Bücher