Bericht vom Leben nach dem Tode
Menschen nicht in unserer Ausdrucksweise geäußert. Wie wir heute mit Hilfe von Statistiken, Formeln und Daten dokumentieren, so boten sie Mythen, Legenden und Parabeln als Zeugnisse ihrer Wahrheit an. Die Vortragsformen, die Symbole haben sich geändert, doch der Sinngehalt ist weitgehend der gleiche geblieben, so wie auch die Gegebenheiten des Universums noch immer die gleichen sind. Aus diesem Grund dürfen wir die »Alten« nicht unterbewerten, und wenn sie zweifellos in vielem geirrt haben und vieles noch nicht wußten, so ist andererseits ebenso wahr, daß sie vieles besser gewußt haben als wir. Es steht uns daher nicht gut an – und wir können es uns nicht leisten –, ihr Wissen zu ignorieren.
Bevor wir jedoch die Schriftsteller der Antike befragen, müssen wir aus den Steinen, aus Felszeichnungen und Grabbeigaben lesen. Aus prähistorischen Funden wissen wir nicht nur, daß der Vorzeitmensch an ein Weiterleben nach dem Tode glaubte, wir können uns auch ein ungefähres Bild davon machen, wie er es sich vorstellte. Er nahm an, daß diejenigen, die zu Lebzeiten böse gewesen waren, sich in Dämonen verwandelten; Edelmütige, Vornehme und Tapfere dagegen wurden zu guten Göttern erhoben. Einige primitive Gemeinschaften hatten ganz feste Vorstellungen über den Verbleib der Seele unmittelbar nach dem Tode. Sie glaubten zum Beispiel, daß die Seele sich so verhalte, wie es James Agee in seinem 1958 erschienenen Roman A Death in the Family geschildert hat: Eine Zeitlang verharrt sie am Grabe, macht dann einen kurzen Besuch bei vertrauten Personen und Plätzen und wandert schließlich weiter zu einem ferneren Bestimmungsort.
Jedenfalls war bekannt, daß die Toten die Eigenart haben, nicht nur zuweilen in unsere Gefilde zurückzukehren, sondern daß sie auch auf Erden weiterhin Aktivität entfalten können, wobei ihre Verhaltensskala von Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft bis zu Haß und Zerstörung reicht. Um die Toten am »Umgehen« zu hindern, trieb man durch die Leiche eines Bösen einen Holzpflock, mit dem sie an die Erde festgenagelt wurde, oder man fesselte sie mit Stricken, bedeckte sie mit schweren Steinen. Die guten Toten bedachte man mit Grabbeigaben oder bemühte sich auf andere Weise, sie davon zu überzeugen, daß man ihrer in Liebe gedachte.
In primitiven Kulturen, in denen der Aberglaube noch eine starke Rolle spielt, haben sich solche Bestattungsbräuche bis heute erhalten. Und da bei diesen Völkern die Anrufung von Toten in Gegenwart einer auserwählten Schar oder der ganzen Dorfbevölkerung zum Stammesritus gehört, also etwas Selbstverständliches ist, kann man annehmen, daß auch die Cromagnon-Menschen schon so etwas Ähnliches wie Séancen abgehalten haben. Wie das geschah und mit welchem Erfolg, darüber wollen wir nicht spekulieren.
Die erste ausführliche Beschreibung einer Séance, die in etwa unseren Vorstellungen entspricht, fand ich in der Odyssee. Daß sie in Homers Werk erscheint, gibt ihr ein besonderes Gewicht, da der »blinde Sänger« für seine Gewissenhaftigkeit in der Berichterstattung über Bräuche, Rituale, Meinungen, Kleidung, Waffen, Bauwerke und Schauplätze seiner Zeit bekannt ist. Wer die Szene liest, zweifelt wohl kaum daran, daß Homer seine Kenntnisse vom Ablauf einer Séance aus persönlicher Erfahrung bezogen hat.
Die Episode wird im elften Gesang beschrieben, der auch »Buch des Todes« genannt wird. Circe hat dem Helden Odysseus geraten, seine medialen Fähigkeiten aufzubieten, um mit dem verstorbenen Propheten Teiresias in Verbindung zu treten, damit dieser ihm rate, was er nun tun solle. Circe, selbst ein kompetentes Medium, gibt Odysseus genaue Direktiven für die Beschwörung von Geistern. (Dies ist übrigens das erste mir bekannte historische Beispiel für das Training eines Mediums durch ein anderes, so wie ich selbst so vielen anderen jungen Medien zu helfen versucht habe. Doch verwenden wir heute kein Schafsblut mehr dabei!) Teiresias hat laut Circe einen »durch den Tod nicht beeinträchtigten Verstand« und wird mit Sicherheit Rat wissen.
Mit größter Sorgfalt befolgt Odysseus die Anweisungen. Sie bezeugen den alten Glauben, daß die Seelen der Toten irgendwie gewisse Ingredienzien von Nahrungsmitteln verwerten können. Während Odysseus also den Toten vom Hades heraufruft, besprenkelt er den Boden mit Getreidekörnern, Honig und Schafsblut. Die annäherndste moderne Parallele, die ich finden konnte, ist die von einigen Parapsychologen
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