Bericht vom Leben nach dem Tode
für ein Medium seine Hand ins Feuer legte, dann war jeder Zweifel überflüssig.
Mein erster Eindruck von Conan Doyle bestätigte mir das Urteil aller, die ihn kannten: Er war im wahrsten Sinn des Wortes eine joviale Erscheinung: imposant, stämmig, vital – und trotz mancher schwerer Schicksalsschläge in früheren Jahren strahlte er unerschütterliche Lebensfreude aus. Er wirkte wesentlich jünger als Ende Sechzig und als die drei Jahre nach ihm geborene Lady St. Clair Stobart. Sie nahm mich hinter die Bühne in sein Vorbereitungszimmer mit, und nachdem er mir kräftig die Hand gedrückt und mein Empfehlungsschreiben überflogen hatte, lud er mich ein, im Saal auf einem der für Ehrengäste reservierten Sitze in der ersten Reihe Platz zu nehmen.
Keiner, glaube ich, lauschte ihm an diesem Abend aufmerksamer als ich. Doyle war ein hervorragender Redner. Noch nie zuvor hatte ich jemand mit soviel Gescheitheit, Witz und Ernst, Weltgewandtheit und Verinnerlichung über unser Thema sprechen hören. Was mir neu war, und was mich gewissermaßen beruhigte: Auch Doyle war erst auf Umwegen und nach langem Zögern zur Anerkennung spiritualistischer Kommunikationsmöglichkeit gekommen. Er hatte zwar schon in seiner Studienzeit mit einem Freund »einfache« Gedankenübertragung über unterschiedliche Entfernungen ausprobiert, wobei der Partner als Empfänger eine verhältnismäßig hohe Richtigkeitsquote erzielte; und er hatte sich auch ernsthaft für das um die Jahrhundertwende besonders populäre psychokinetische Gesellschaftsspiel des Tischrückens interessiert, doch er weigerte sich jahrzehntelang, andere außersinnliche Phänomene zu akzeptieren als telepathische. Erst nach einem Vierteljahrhundert der intensiven Auseinandersetzung und Beobachtung zahlloser Experimente rang er sich dazu durch, die Hypothese von Jenseitskontakten und Erscheinungen Verstorbener zu bejahen. Man hat gesagt, der plötzliche Tod seines Sohnes Kingsley, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, und eine gewisse mediale Begabung seiner zweiten Frau hätten ihn zum Spiritismus geführt. Doyle selbst hat diese Vermutung stets zurückgewiesen, und er war wohl auch tatsächlich nicht der Typ, dessen Verstand sich von Vorgängen in der Familie dirigieren ließ. Er gehörte zu den Skeptikern, die das zufällige, unberechenbare Auftreten von außersinnlicher Wahrnehmung nicht zufriedenzustellen vermochte. Er verlangte den konstanten, hier und jetzt produzierten sechsten Sinn als Beweis. Ich weiß nicht genau, wie oft er diesen Beweis schon vorgeführt bekommen hatte; jedenfalls forderte er ihn auch an jenem Abend – und zwar von mir.
Nachdem der Beifall für seinen Vortrag verklungen war, deutete Doyle auf mich und verkündete zu meiner größten Bestürzung: »Ein bekanntes Medium aus den Vereinigten Staaten von Amerika, Arthur Ford, weilt heute unter uns. Ich möchte ihn bitten, seine hellseherischen Fähigkeiten auch Ihnen zu demonstrieren.«
Mit zitternden Knien erhob ich mich, stolperte auf das Podium und bedankte mich mit rotem Kopf und verkrampftem Lächeln für den freundlichen Begrüßungsapplaus. Sekundenlang war ich auf Doyle wütend. Wäre es nicht fair gewesen, mich darauf vorzubereiten, daß er mit mir experimentieren wollte? Hatte er sich vorgenommen, mich hereinzulegen? Nie hatte ich behauptet, ein »bekanntes Medium« zu sein, erst recht nicht, als ich mich Doyle vorstellte, aber plötzlich hatte ich das Gefühl, daß man mich als offiziellen Repräsentanten des amerikanischen Spiritismus betrachtete und die Lauterkeit der außersinnlichen Wahrnehmungen eines ganzen Kontinents auf dem Spiel stand. Meine Kondition konnte gar nicht miserabler sein. Ich war abgespannt von der langen Reise, irritiert von der neuen Umgebung, von der Begegnung mit zwei beinahe übermenschlichen Persönlichkeiten. Und vor allem: Wußte ich denn überhaupt, ob Fletcher mich nach England begleitet hatte, ob es nicht aus irgendwelchen physischen oder physikalischen Gründen vielleicht unmöglich war, in dieser Zone, in der Alten Welt, mit ihm in Verbindung zu treten? Kurz, meine hellseherischen Fähigkeiten beschränkten sich in diesem Augenblick auf die Vorahnung der größten Blamage meines Lebens. Am liebsten wäre ich tot umgefallen.
Statt dessen fiel ich in Trance. Der Wunsch, mich einfach fallen zu lassen, hatte offenbar genügt. Kaum saß ich auf einem freien Stuhl an dem auf der Bühne aufgebauten Vorstandstisch einer spiritistischen Vereinigung, da
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