Bericht vom Leben nach dem Tode
plausibel – vorausgesetzt, daß ihre Behauptungen stimmen. Möglich, daß man ein bißchen ›angeknackst‹ sein muß, um Gucklöcher in die außersinnliche Welt zu finden.«
Professor Broad glaubte also nicht, daß die Halluzinationsthese alles zu erklären vermag. »Solche Theorien«, so schreibt er, »haben eine zu gelbsüchtige Färbung, um wirklich vertrauenerweckend sein zu können. Ich würde jedenfalls Theorien über das Wesen der Musik und ihre Funktion im menschlichen Leben, die von einem unmusikalischen Psychologen vorgebracht werden, dessen Frau obendrein noch mit einem Musiker durchgebrannt ist, mit äußerster Vorsicht genießen.«
Experimente mit »Sherlock Holmes«
An einem Apriltag des Jahres 1927 kam ich, erwartungsvoll und verzagt zugleich, in London an. Ich wollte mich in der Weltmetropole der parapsychologischen Forschung den Experten präsentieren, von denen ich schon soviel gelesen hatte – aber würden sie meine bescheidenen Gaben überhaupt interessieren? Gab es in England nicht Medien wie Sand am Meer? Zwar hatte ich ein an Sir Arthur Conan Doyle gerichtetes Empfehlungsschreiben bei mir, doch wie sollte ich an ihn herankommen? Der Schöpfer von Sherlock Holmes und Dr. Watson war kein gewöhnlicher Kriminalromanautor, den man einfach anrufen oder in seiner Stammkneipe kennenlernen konnte. Er war so populär, daß er, wann immer er sich in der Öffentlichkeit zeigte, sogleich von Sherlock-Holmes-Fans umringt wurde. In der Meinung, er vereinige in sich die fast übernatürlichen Fähigkeiten seiner beiden Meisterdetektive, suchten Zahllose bei Doyle Rat und Hilfe in allen scheinbar unlösbaren Kriminalfällen. Nur wenige seiner Leser wußten, daß Sir Arthurs wahre Leidenschaft keineswegs der Aufklärung von Verbrechen, sondern der Erklärung paranormaler Phänomene galt. Die Zeit der Produktion von scharf-sinnig-witzigen Detektivgeschichten, die der Dreißigjährige verfaßt hatte, um seine dürftigen Einkünfte als junger Arzt in Plymouth aufzubessern, war längst vorbei. Conan Doyle lebte schon seit mehr als zwanzig Jahren fast ausschließlich von den Honoraren, die ihm die ständigen Nachdrucke seiner Sherlock-Holmes-Bücher in aller Welt einbrachten, und widmete sich seitdem vor allem der psychologischen Forschung und der Öffentlichkeitsaufklärung über die Möglichkeiten der psychischen Selbstverwirklichung des Menschen.
Auch durch die Vereinigten Staaten hatte er Vortragsreisen unternommen, und das Publikum, das sich in den Sälen drängte, um Sherlock Holmes persönlich über Mord und Totschlag sprechen zu hören, verließ die Veranstaltung entweder enttäuscht oder unverhofft bereichert um die ersten Einblicke in eine neue Dimension des Lebens.
Das erste, was mir, dem Neuankömmling, in London ins Bewußtsein drang, war keine der Sehenswürdigkeiten der Stadt, sondern ein Plakat, auf dem ich las, daß Sir Arthur Conan Doyle am gleichen Abend in der Grotrian Hall einen Vortrag halten werde – und zwar über »Die Bedeutung medialer Fähigkeit für die Bewußtseinserweiterung des Menschen«, also über mein Thema. Im Jahr zuvor hatte er eine zweibändige Geschichte des Spiritismus herausgebracht, die seitdem von Anhängern und Gegnern heftig diskutiert wurde, und ich konnte mir vorstellen, daß es hoffnungslos sein würde, auch nur in Doyles Nähe zu gelangen.
Ich mußte mir zuvor eine andere Protektion suchen und begab mich zu Mrs. Mabel St. Clair Stobart, einem einflußreichen Mitglied der Society for Psychical Research. Ihr Buch Torchbearers of Spiritualism (»Fackelträger des Spiritismus«) hatte ich mit großem Gewinn gelesen. Doch es genügt keineswegs zu erwähnen, daß sie selbst eine solche »Fackelträgerin« war. Um diese großartige Frau angemessen und anschaulich zu beschreiben, brauchte ich das Talent eines Epikers und eines Porträtmalers. Ich würde Mrs. St. Clair Stobart gern eine »Emanzipierte« nennen, doch haftet dieser Bezeichnung nach wie vor leider ein ironischer Beigeschmack an. Ihr Mut, ihre Initiative, ihr energisches Wirken in den verschiedensten Tätigkeitsbereichen konnten selbst erfolggewohnte Männer nervös machen. Sie aber blieb immer die Ruhe selbst, sie bewahrte immer Haltung. Nur wer ihren bisherigen Lebensweg kannte, wußte, was das für sie bedeutet hatte: Haltung bewahren. Die junge Tochter eines geadelten Industriellen hatte zu Beginn des Ersten Weltkriegs das erste fahrbare Lazarett der britischen Streitkräfte organisiert
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