Bericht vom Leben nach dem Tode
und mit den Invasionstruppen nach Belgien begleitet. Von den Deutschen gefangengenommen und als Spionin vor ein Kriegsgericht gestellt, gelang es ihr zu fliehen und quer durch das Kampfgebiet die eigenen Linien zu erreichen. Wieder in der Heimat, bekam sie den Auftrag, ein Lazarett für die im Vorderen Orient gegen die Türken kämpfenden Truppen einzurichten. Weil sie dort stets einen Rappen ritt, nannten die Soldaten sie »The Lady on the black horse«. Später versuchte sie, etwas Ordnung in den Rückzug der Serben durch das unwegsame albanisch-makedonische Bergland zur griechischen Küste zu bringen. Sie half Tausende von Verwundeten und Zivilisten zu retten und erhielt dafür von den Regierungen der westlichen Verbündeten hohe Orden. Nach Kriegsende wurde sie in der britischen Frauenbewegung aktiv, gründete gemeinnützige Vereinigungen, demonstrierte gegen gesellschaftliche Mißstände, ließ sich als Suffragette auslachen, aber auch als erste Frau in Großbritannien in einen Kirchenvorstand wählen.
Während wir auf das Eintreffen von Conan Doyle in der Grotrian Hall warteten, erzählte mir Mrs. St. Clair Stobart, wie sie dazu gekommen war, sich mit dem Spiritismus zu beschäftigen. Ein Bekannter in Kanada hatte sie Anfang der zwanziger Jahre brieflich gebeten, ihm das Protokoll einer bestimmten Séance des britischen College of Psychic Science zu besorgen. Es fiel ihr nicht leicht, ihr Vorurteil gegen alles, was nach Spuk roch, zu überwinden, aber wenn sie sich nun einmal einem guten Freund zuliebe mit diesem Thema befassen mußte, dann wollte sie es auch gleich ein bißchen gründlicher tun. Sie bekam Gelegenheit, den psychokinetischen Experimenten des College mit dem Medium Maria Silbert, einer Lehrerswitwe aus Österreich, beizuwohnen, und was sie sah, überzeugte sie. Fortan betrachtete sie es als eine ihrer wichtigsten Aufgaben, der Erforschung paranormaler Vorgänge und denen, die sie hervorrufen, den Medien, zu gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Anerkennung zu verhelfen. Sie veranstaltete spiritistische Sitzungen und bemühte sich in Vorträgen und Schriften vor allem darum, der Öffentlichkeit begreiflich zu machen, daß der Glaube an das Vorhandensein eines sechsten Sinns durchaus mit dem christlichen Glauben vereinbar sei. Deutlich unterschied sie die Interessen der akademischen Parapsychologen und die der Spiritisten: »Die Parapsychologie erforscht das, was in einer Séance vorgeht; der Spiritismus erforscht, was in der Seele vorgeht.«
Man muß verstehen, daß diese bewundernswert aktive Frau ihr immenses tägliches Programm nur durch rigorose Rationalisierung der banalen Lebensnotwendigkeiten bewältigen konnte. Um keine Zeit mit Mode- und Garderobeproblemen zu verschwenden, hatte sie für sich selbst eine Art Uniform in zeitlosem Schnitt entworfen. So unterschieden sich alle ihre Kleider höchstens in der Farbe und im Material voneinander. An dem Tag, als ich sie kennenlernte, trug sie purpurne Seide, dazu Sandalen mit großen Silberschnallen und auf ihrem zerzausten Haar einen kegelförmigen Hut. Da sie an starken Gelenkschmerzen litt, stützte sie sich auf einen knüppelartigen Stock. Manche fanden, daß sie wie eine Hexe aussehe – nun, wenn, dann wie eine höchst respektable und sehr humorvolle. Mit Humor übrigens mußten ihre Tischgäste, zu denen auch ich in der folgenden Zeit oft zählte, eine besonders harte Rationalisierungsmaßnahme des Stobartschen Haushalts hinnehmen: Es gab an jedem Wochentag – alle Montage, alle Dienstage usw. des ganzen Jahres – das gleiche Menü. Das ersparte zeitraubendes Nachdenken über den Speisezettel, und Ärger mit einfallslosen Köchinnen, und es vereinfachte den Lebensmitteleinkauf. Die Tafelfreuden bei Mrs. St. Clair Stobart waren eben nicht kulinarischer, sondern geistiger Art.
Dieser erste Abend in London war der schönste meines ganzen Englandaufenthalts. Ich gewann zwei illustre Freunde, von denen ich unendlich viel lernen konnte, und ich hatte, völlig unerwartet, meinen ersten großen Erfolg als Medium im Ausland und unter dem Patronat eines weltberühmten Mannes, dessen Urteil in der Öffentlichkeit noch mehr galt als das eines akademischen Fachmannes. Schließlich war jedermann überzeugt, daß »Sherlock Holmes« auch der geschickteste Betrug eines Mediums nicht verborgen bleiben konnte, und wenn der skeptische, gegen Unverschämtheit und Hinterlist geradezu allergische, jeden Nonsense verachtende Sir Arthur Conan Doyle
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