Bericht vom Leben nach dem Tode
gekannt.
Nun, man kann sich vorstellen, daß ich froh war, bei den gestrengen Houdinis gut abgeschnitten zu haben und bei der Presse natürlich auch. Insgeheim befürchtete ich jedoch, daß die Sensationsmeldungen der Zeitungen gewisse Pseudo-Medien veranlassen könnten, abenteuerliche Houdini-Stories zu produzieren. Doch nichts dergleichen geschah. Auch aus dem Jenseits hörte ich in den nächsten Monaten nichts von den Houdinis. Dann aber meldete sich der große Magier persönlich bei mir. Es war in New York im November 1928.
Gleich der erste, der sich in der Séance durch Fletcher kundtat, war Houdini, und er gab das erste Wort seines Codetextes durch. Wie in seiner Rolle als Zauberkünstler auf der Bühne des Lebens machte er es auch jetzt spannend. Er übermittelte in jeder der nächsten acht Séancen, die sich über einen Zeitraum von anderthalb Monaten erstreckten, nie mehr als höchstens zwei Wörter. Von der zweiten Sitzung an war ein leitender Redakteur der Zeitschrift Scientific American anwesend, der dann einen minuziösen Bericht über die ganze Serie schrieb. An vier Sitzungen nahmen zwei Ärzte teil, Dr. John Tanner aus New York und Hamilton Emmons aus England. Sämtliche Durchgaben wurden mitstenographiert.
Die Houdini-Kommunikation kostete alle Beteiligten ungewöhnlich große Anstrengungen. Man kann wohl sagen, daß es die strapaziöseste Séanceserie meines Lebens war. Das hing selbstverständlich damit zusammen, daß sie auch Fletcher und Houdini ungeheuer zu schaffen machte. Der Magier hatte Mühe, die einzelnen Codewörter zu bilden und ihre sinngebende Reihenfolge festzulegen, das heißt, seinen Klartext zu chiffrieren. Fletcher mußte sich minutenlang mit aller Kraft auf die einzelnen zusammenhanglosen und für jeden außer Houdini sinnlosen Wörter konzentrieren, bevor er sie weitergeben konnte, und ständig hatte er Angst, daß die Protokollanten irgend etwas zu notieren vergessen könnten, was dann womöglich unwiederbringlich verloren war.
»Das erste Wort lautet ROSABELLE «, buchstabierte Fletcher nach langem Zögern, »und es erschließt alle übrigen Wörter.« Vierzehn Tage später kam ein zweites Wort hinzu: ANSWER . Die nächsten Wörter kamen nicht in der richtigen Reihenfolge an. In der dritten Sitzung sagte Fletcher: »Hier ist eine alte Dame, mit der ich vor längerer Zeit schon einmal gesprochen habe. Sie gibt mir das Wort LOOK bekannt. Es ist das sechste Wort des Codetextes.« Die Anwesenden vermuteten ganz richtig, daß es sich um Houdinis Mutter handelte. In einer weiteren Séance, als uns mittlerweile schon die Wörter ROSABELLE , ANSWER , LOOK , PRAY und TELL bekannt waren, fing Houdini plötzlich an, die gleichen Wörter und neue französische durchzugeben, als wolle er es damit Fletcher, dessen Muttersprache ja Französisch war, leichter machen. In Wirklichkeit verwirrte er ihn jedoch nur. Wie zum Trost für Fletchers und meine geistigen Strapazen erfuhren wir dann in der letzten Séance dieser Serie, daß Houdini selbst drei Monate gebraucht hatte, um den Code zu rekonstruieren, und daß er es ohne die Hilfe seiner Mutter nie geschafft hätte.
Fletcher sagte: »Unser Mann hier sagt, das letzte Wort sei wieder tell. ›E S müssen jetzt insgesamt zehn Wörter sein. Geht sie bitte noch einmal durch.‹«
Der Protokollant wiederholte laut und deutlich alle zehn Wörter:
ROSABELLE ANSWER TELL PRAY ANSWER
LOOK TELL ANSWER ANSWER TELL
Houdini bestätigte durch Fletcher die Richtigkeit der Wörter und ihrer Reihenfolge. »Das war eine harte Arbeit für uns alle«, sagte er. »Aber jetzt ist es überstanden. Nun werde ich Fletcher erklären, was mit dem Text weiter geschehen soll.«
Fletcher meldete sich nach einer Weile wieder und bat um genaue Zeitangabe. Es war 21 Uhr 23. Das sollte der Protokollant festhalten, ebenso das folgende, und zwar alles ausgeschrieben, nicht in Stenographie. Houdini wünschte, daß mir, im Trancezustand, der Puls gemessen werde, und der Protokollführer trug ein: 63 in der Minute. Dann sollte er die Namen aller Anwesenden notieren, und sie alle sollten die für Mrs. Beatrice Houdini bestimmte Botschaft eigenhändig unterschreiben. Wörtlich sagte Houdini:
Geben Sie diesen Text meiner Frau. Sie soll den Codetext nach dem System dechiffrieren, das nur sie und ich kennen und das wir vor meinem Abschied immer wieder genau durchgesprochen haben. Wenn sie den Sinn der Nachricht erfaßt hat, möge sie es der Öffentlichkeit
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