Berichte aus dem Christstollen
werden dann Tonnen um Tonnen Weihnachtsgebäck hergestellt.
Unser ganzes Land befindet sich in einer sektenähnlichen Trance: dem Backwahn. Auch meine Kinder, meine Frau und sogar mein Schwiegervater sind davon betroffen. Sie backen Blech um Blech, lecken Rührbesen, fetten ein, glasieren, bestäuben und naschen. Das ist schön, aber sehr ungesund, wie ich mahnte.
Ich mahnte natürlich nur zum Schein und Spaß, denn ich leide seit Jahren an einer fiebrigen und saisonbedingten Krankheit: der Toblerone. Unter diesem Begriff subsumiert sich die Naschlust auf alles Süße, das sich mir zwischen Ende November und Anfang Januar ungeschickt in den Weg stellt. Die Toblerone ergreift in der Weihnachtszeit wirkungsmächtig von mir Besitz.
Gerade deshalb war der Effekt gewaltig, als ich vorschlug, statt der blöden Plätzchen jeden Abend bis Neujahr einen Rohkostteller zu knabbern. Das sei gesund, auch knusprig, schön bunt und mal was anderes. Ich kam mir vor, als sei ich der Schurke, der den Saloon betritt. Die Musik geht aus, der Klavierspieler klappt den Deckel zu, die Cowboys lassen die Karten sinken, der Barkeeper nimmt vorsichtshalber die Flaschen aus dem Regal.
Mein Sohn glotzte mich entrückt an: «Papa, du bist verrückt.» Meine Tochter sagte: «Mama, sag was.» Aber ihre Mama reagierte nicht und zog Eischnee unter geschmolzene Kuvertüre, eine Tätigkeit, die bei ihr immer sehr erotisch aussieht. Antonio kaute auf einer Kokosmakrone herum, was ich deshalb weiß, weil er bei seinem Kommentar dünne Kokosflöckchen versprühte: «Che pazzo!»
«Wir essen Gemüse, trinken Tee und verpacken dieses Jahr die Geschenke nicht», rief ich heiter. «Am besten verzichten wir gleich ganz auf die Geschenke. Wir knuspern an unserem Stangensellerie, und jeder erzählt, was er an diesem Jahr besonders schön fand. Und dann gehen wir einfach mal früh ins Bett.» Schweigen. «Wir machen Schluss mit dem Kommerzscheiß, wir lassen uns das Fest nicht vom Konsumdruck der Industrie verderben.» Ich ahnte, dass ich zu weit ging, aber es machte Spaß.
«Der Einzige, der uns hier gerade Weihnachten verdirbt, bist ja wohl du», sagte Carla. Aus ihren Augen blitzten Kampfesmut und die Befürchtung, dass ihr mühsam angefertigter Wunschzettel womöglich reine Makulatur war.
«Sara, was meinst du?», fragte ich leutselig. «Dann brauchen wir keine Tanne zu ermorden, und die Schmückerei lassen wir auch.»
Das gefiel unserem Sohn gar nicht, denn er hatte gerade eine monströse Christbaumspitze in der Schule hergestellt. Sie ist aus Pappe, und man benötigt einen sieben Meter hohen Baum, um die Proportionen zu wahren.
Sara hingegen gab sich begeistert. «Ich finde, das ist eine ganz ausgezeichnete Idee. Genau so machen wir das. Ich bin ehrlich gesagt froh, dass ich am ersten Weihnachtstag nicht diesen Stress mit der Kocherei habe.» Sie lächelte mich an, was mich irritierte.
Ich ging also ins Wohnzimmer, um darüber nachzudenken, ob es nicht doch Ausnahmen geben musste. Immerhin bewahrte ich für den ersten Weihnachtstag eine Flasche Rotwein auf, die man nur an besonderen Tagen öffnet. Wenn nun Weihnachten kein besonderer Tag würde, wäre es konsequenterweise auch Essig mit dem Saint Émilion. Die aus reiner Freude an der Provokation geborene Idee gefiel mir plötzlich selbst nicht mehr. Also ging ich zurück, um den Spuk zu beenden. Ich betrat die Küche mit erhobenen Armen und wollte gerade «April, April» rufen, als ich hörte, wie Sara leise zu den Kindern sagte: «Jetzt lasst ihm halt seinen Willen. Das hält der sowieso nicht durch.»
So sind Frauen im sechzehnten Ehejahr. Nun saß ich in der Falle. Wenn ich vor Sara, Carla und Nick zugab, all diese Vorschläge gar nicht ernst gemeint zu haben, stand ich als konsumsüchtiger Trottel da, der es eben nicht ohne Gebäck und Geschenketerror aushält. Und wenn ich meine Verweigerungshaltung knallhart durchzog, würde ich fortan bei meinen Kindern ungefähr den Rang des grünen Grinch einnehmen, der allen das Weihnachtsfest vermiest und isoliert in einer Höhle auf dem Berg wohnen muss. Was tun?
Nach einiger Grübelei entwarf ich einen Plan. Wie es wohl wäre, wenn ich mit Frau und Kindern auf den Weihnachtsmarkt ginge? Dort könnte meine Begeisterung für das ganze Fest wie zufällig neu entflammen. Danach könnte ich sagen: «Ach Kinder, war das schön. Herrlich. Ich glaube, wir sollten doch wie immer feiern. Dieser feine Besuch des Weihnachtsmarktes hat mich davon überzeugt,
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