Berichte aus dem Christstollen
Der kleine Finn hob die Hand, und ich brummte weiter: «Soosoo, du bist der Finn.»
«Nein, ich bin der Konstantin, und ich muss aufs Klo.»
Ich winkte mit dem Bischofsstab und knurrte: «Na, dann geh mal, mein lieber junger Freund.»
Nun blätterte ich in dem großen Buch. Himmel, war das warm hier. Durst! Und der Schweiß rann in den Bart, welcher kunstvoll mit der Bischofsmütze verbunden war. Er fühlte sich an wie ein 200 Grad heißer, feuchter Flokati. Ekelhaft.
«Dann wollen wir mal sehen», brummte ich nikolausig. «Wer von euch ist denn nun der Finn?»
Ein kleiner blonder Bursche hob die Hand.
«Eine Frage», sagte Finn.
«Schieß los», sagte ich jovial.
«Wo ist eigentlich dein Krampus?»
Der Krampus ist eine Art teuflisches Zottelwesen und gehört zum süddeutschen Nikolaus-Brauchtum. Er sieht aus wie die Morlocks in dem Film «Die Zeitmaschine». Häufig taucht er im Rudel auf und soll die unartigen Kinder erschrecken. In anderen Gegenden Deutschlands gibt es den Knecht Ruprecht. Er verhält sich zum Nikolaus in etwa wie Alexander Dobrindt zu Horst Seehofer.
«Ich brauche keinen Krampus», sagte ich beleidigt.
«Wenn du keinen Krampus hast, dann bist du gar nicht richtig.»
«Hast du eine Ahnung. Wenn du nicht still bist, fresse ich dich vor den Augen deiner Kumpels einfach auf. So! Happs!»
Sofort fing Claire wieder an zu heulen. Aber darauf konnte ich keine Rücksicht mehr nehmen. Zeit ist Geld. Auch ein Nikolaus muss effizient arbeiten.
«So. Finn. Hier lese ich, dass du schon ganz toll deinen Teller aufräumst und gerne mit dem Hund spazieren gehst. Das ist ja schön.»
«Woher weißt du das?»
«Das steht hier.»
«Und wer hat das da reingeschrieben?»
«Ist doch egal», brummte ich.
Ich wollte die Sache nun endlich hinter mich bringen. Ich sagte: «Du musst aber auch dein Zimmer aufräumen. Okay? Nun bekommst du ein Päckchen aus dem Säckchen, und du darfst es erst öffnen, wenn ich weg bin. Ihr müsst alle warten, bis jeder eines hat.»
Dazu hatte mir Sara geraten. Ansonsten würde die Aufmerksamkeit zu schnell nachlassen. Und dann kam mir eine teuflische Idee: Ich griff in den Sack, nahm ein Geschenk heraus und entfernte rasch das Namensschildchen darauf. Finn erhielt also nicht sein Päckchen, sondern: irgendein Päckchen. Hähähä. Nikolausens Rache.
Ich machte weiter. Jedes Kind schimpfte ich zunächst milde und bescherte es dann mit einem Päcklein. Schließlich erhob ich mich ächzend, teilte der Truppe mit, dass ich einen schweren Bandscheibenvorfall hätte, leider gesetzlich versichert sei und nun nach Hause müsse, um dort eine schöne Kindersuppe zu kochen, was Claire dazu veranlasste, aufzukreischen und in den Schoß der Klassenlehrerin zu flüchten. Dann ging ich, mit dem Bischofsstab winkend. Im Hinausgehen hörte ich noch, wie der Erste rief: «Hee, was soll ich denn mit dem Mädchenkram hier?»
Dann war ich weg. Sara holte unseren Nick eine Stunde später ab. Er war ganz zufrieden mit seinem rosa Spiegelchen, obwohl Sara ihm eigentlich eine Playmobilfigur gekauft hatte.
Am nächsten Tag brachte ich Nick in die Schule, und seine Lehrerin bedankte sich herzlich bei mir für die wunderbare Idee, die Kinder zur Kommunikation und zum Tauschen angeleitet zu haben. Das sei pädagogisch unheimlich wertvoll gewesen, und sie habe mir diesen Weitblick gar nicht zugetraut. Mist. Jetzt muss ich jedes Jahr ran.
Ein Fest ohne Baum- und Bratenspitze
Die sogenannte Bratenspitze ist hierzulande ein inzwischen recht bekanntes Phänomen. Das Wort bezeichnet den erhöhten Stromverbrauch in deutschen Haushalten am Mittag des ersten Weihnachtstages, wenn überall die Backöfen auf Volllast laufen. Das können die Energieversorger auf ihren Kontroll-Monitoren genau sehen, und irgendwann hat sich bei ihnen für diesen Tag mit dem allerhöchsten Stromverbrauch im Jahr der Begriff «Bratenspitze» gebildet.
Sicher gibt es auch einen Mehlgipfel. Der Mehlverbrauch in deutschen Küchen steigt nämlich ab Anfang Dezember dramatisch an. Die Mühlen mahlen ächzend und knirschend rund um die Uhr. Unten fällt Tüte um Tüte Wiener Grießler heraus und wird von weiß bemäntelten Mehlfahrern in die Supermärkte gebracht, wo Hausfrauen vor Lust bebend warten, um ihnen den weißen Stoff palettenweise aus den staubigen Fingern zu reißen. Der Mehlboom erreicht Mitte des Monats seinen Höhepunkt, denn dann backen manche Mütter die erste, andere aber bereits die zweite Fuhre Plätzchen, es
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