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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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Berlin, Deutschland oder Europa zu tun. Von dieser Prämisse aus gelangt man zu der Schlussfolgerung, dass wir derzeit eine verhängnisvolle Prüfung unserer Entschlossenheit erleben […] und dass sich Chruschtschow nur von der demonstrativen Bereitschaft der USA abschrecken lassen wird, einen Atomkrieg zu riskieren, statt den Status quo aufzugeben. Nach dieser Theorie sind Verhandlungen schädlich, bis sich die Krise massiv zugespitzt hat; selbst dann sind sie nur zu Propagandazwecken nützlich; und am Ende ist der eigentliche Zweck, eine Formel zu finden, um Chruschtschows Niederlage zu kaschieren. Die Probe der Entschlossenheit wird zu einem Selbstzweck statt zu einem Mittel für einen politischen Zweck. 15
    Die drei Männer zählten anschließend die Punkte auf, die Acheson ihrer Meinung nach übersehen hatte:
    »Was unternehmen wir, politisch gesehen, bis zum Ausbruch der Krise? Wenn wir stillsitzen oder uns darauf beschränken, sowjetische Behauptungen zu widerlegen«, heißt es in dem Memorandum, würden die USA es zulassen, dass Chruschtschow die Initiative behielt und Kennedy in der Defensive blieb. Er würde nach außen hin »unbeweglich« und »unvernünftig« wirken.
    »Das [Acheson-] Memorandum lässt keine Beziehung zwischen den empfohlenen militärischen Maßnahmen und den größeren politischen Zielen erkennen. « Mit bewusst drastischen Worten weisen die Verfasser darauf hin, dass Acheson »außer dem gegenwärtigen Zugangsverfahren kein politisches Ziel [erwähnt], für das wir die Welt in Schutt und Asche zu legen gewillt wären«. Deshalb argumentieren sie: »Es ist unerlässlich, das Anliegen
herauszuarbeiten, für das wir bereit sind, den Atomkrieg auszulösen. «
    » Das Memorandum geht nur auf eine Eventualität ein – die Unterbrechung des militärischen Zugangs nach Westberlin durch die Kommunisten.« Dabei gebe es in Wirklichkeit »eine ganze Skala von Behinderungen, und eine totale Blockade könnte darunter eine der am wenigsten wahrscheinlichen sein«.
    »Das Memorandum geht aus von unserer Bereitschaft, den Atomkrieg zu beginnen. Aber diese Möglichkeit ist nicht definiert.« Die drei Männer rieten Kennedy, der sich, wie sie wussten, wegen der Kriegsoptionen bereits den Kopf zerbrach: »Bevor man von Ihnen verlangt, die Entscheidung für den Atomkrieg zu treffen, haben Sie ein Recht zu wissen, was der Atomkrieg konkret bedeutet. Das Pentagon sollte eine Analyse der möglichen Grade und Auswirkungen eines Atomkriegs anfertigen, die gleichzeitig die möglichen Abstufungen unseres atomaren Gegenschlags berücksichtigt.« Die Denkschrift kritisierte Acheson, weil er sich »fast ausschließlich dem Problem des militärischen Zugangs« zu Berlin widmete. Dabei machte der militärische Verkehr nur 5 Prozent des gesamten Verkehrs aus, 95 Prozent hingegen bestünden aus Lieferungen an die Zivilbevölkerung. Das Memorandum wies darauf hin, dass die DDR diesen zivilen Verkehr ohnehin bereits vollständig kontrolliere, den sie erstaunlich bereitwillig erleichtert habe. Überdies sei der zivile Verkehr unverzichtbar für das Ziel der Vereinigten Staaten, die Freiheit Westberlins zu erhalten.
    Schließlich argumentierte das Memorandum, Acheson habe Empfindlichkeiten innerhalb der NATO ignoriert. »Was geschieht, wenn unsere Verbündeten nicht mitmachen?« Es sei unwahrscheinlich, dass die Bündnispartner Achesons Idee, Truppen über die Autobahn zu entsenden, um eine Blockade durch eine Bodentruppe zu brechen, unterstützen würden. De Gaulle habe sich bereits dagegen ausgesprochen. »Wie steht es mit den Vereinten Nationen? Ganz gleich, was geschieht: Die Frage wird vor die UNO kommen. In jedem Fall müssen wir eine überzeugende Position für die UNO haben.«
    Ein derart wichtiges Dokument wurde wohl selten so schnell konzipiert. Schlesinger tippte fleißig, um mit dem Gedankengang seiner brillanten Mitverschwörer Schritt zu halten. Stets die Uhr im Blick, verfasste er einen Abschnitt mit der Überschrift »Beiläufige Gedanken zu nicht ausgeloteten Alternativen«. Im
Telegrammstil wurden hier die Fragen aufgezählt, die der Präsident über jene hinaus erörtern sollte, die Acheson geliefert hatte.
    Vor allem wollten die Männer dafür sorgen, dass sämtliche Fragen und Alternativen »systematisch ans Licht gebracht und eingehend geprüft wurden«, ehe man voreilig mit Achesons Plan fortfuhr. Das nicht signierte Memorandum Schlesingers ließ durchblicken, dass der Präsident sich überlegen

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