Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Bewegung in ganz Berlin noch einmal zu betonen, fuhr Lightner zwei Blocks weiter bis zur nächsten Kreuzung nach Ostberlin hinein. Dort wendete er und fuhr zurück, während ihm die ganze Zeit die US-Wachmannschaft Deckung gab.
Als er sicher im amerikanischen Sektor zurück war, entschloss er sich, dieselbe Prozedur noch einmal durchzuführen, um seine Position endgültig klarzumachen. Inzwischen hatte sich die Kunde von dieser Konfrontation in Windeseile durch ganz Berlin verbreitet. Reporter und Fotografen versammelten sich vor dem Grenzübergang, um jede Bewegung dort genau zu verfolgen. Während ihm das Herz bis zum Hals schlug, sprang Albert Hemsing auf Lightners Beifahrersitz. Der vierundvierzigjährige gebürtige Deutsche war Leiter der US-Informationsabteilung in Berlin. Nach dem Krieg hatte er in Paris im Rahmen des Marshall-Plans in einer Einheit gearbeitet, die Filme zur Unterstützung der europäischen Wiederaufbaumaßnahmen drehte. Ein solches Abenteuer wie an diesem Abend hatte er noch nie erlebt. Die Grenzpolizisten würden später behaupten, sein Atem habe nach Alkohol gerochen.
Als die DDR-Grenzbeamten Lightner erneut in den Weg traten, gab er den hinter ihm aufgestellten Trupps durch das heruntergelassene Autofenster das Zeichen, zu ihm aufzuschließen. Sie eskortierten ihn noch einmal durch die Grenzsperren. Auch dieses Mal gingen ihnen die Grenzpolizisten lieber aus dem Weg. Unterdessen hatte der politische Berater der US-Mission, Howard Trivers, das Oberkommando der sowjetischen Streitkräfte in Karlshorst angerufen und verlangt, dass unverzüglich ein russischer Offizier am Checkpoint Charlie erscheinen solle, um die dortigen Schwierigkeiten zu bereinigen.
Als Lightners VW von seinem zweiten Kurzausflug zurückkam, war tatsächlich ein sowjetischer Vertreter eingetroffen. 13 Nachdem er mit den Grenzpolizisten und den Amerikanern gesprochen hatte, entschuldigte sich der Russe dafür, dass die DDR-Beamten Lightners hohe Amtsstellung nicht erkannt hätten. Daraufhin entschloss sich Lightner, die Grenze ein drittes Mal zu überqueren. Diesmal wurde er von einem Zivilfahrzeug der US-Mission begleitet. Die Grenzpolizisten ließen sie durch, die Amerikaner hatten gesiegt.
Die beiden US-Fahrzeuge drehten dann eine kleine Siegesrunde. Sie fuhren die ganze Friedrichstraße hinauf bis zur Allee Unter den Linden, bogen dort nach links ab in Richtung Brandenburger Tor, um dann zum Checkpoint
Charlie zurückzukehren. Gegen 22 Uhr traf mit Oberst Lasarew, dem stellvertretenden Leiter der Politikabteilung, ein höherrangiger Repräsentant der sowjetischen Besatzungsmacht ein. Er entschuldigte sich für das Verhalten der DDR-Grenzbeamten. Er erklärte es damit, dass man aus den alliierten Autokennzeichen nicht genau erkennen könne, welche Fahrzeuge zu überprüfen seien und welche nicht. Gleichzeitig protestierte er entschieden gegen das »bewaffnete Eindringen« von US-Truppen nach Ostberlin.
Lightner und seine Frau hatten zwar ihre Theateraufführung verpasst, aber Clay gratulierte ihnen für ihr entschiedenes Auftreten. Am nächsten Morgen verkündete Clay der Presse, dass »jetzt die Fiktion zerstört« worden sei, dass die Ostdeutschen dafür verantwortlich seien, wenn Westalliierten der Zugang nach Ostberlin verweigert würde.
Sein Sieg währte allerdings nur kurz. Noch am selben Morgen veröffentlichte die DDR-Regierung einen amtlichen Erlass, in dem festgelegt wurde, dass künftig alle Ausländer mit Ausnahme von alliierten Soldaten in Uniform ihre Papiere vorzeigen müssten, wenn sie das »demokratische« Berlin betreten wollten. Die DDR-Presseagentur ADN verdammte das Ereignis von Sonntagabend als »Grenzprovokation«, die von einem unbekannten Zivilisten (Lightner) und einer unbekannten Frau (Dorothy) begangen worden sei, denen sich später noch ein Betrunkener (Hemsing) hinzugesellt habe.
Als der DDR-Rundfunk die Namen der beteiligten Amerikaner erfuhr, feixte er in einer englischsprachigen Sendung, die für US-Soldaten bestimmt war, auf recht unflätige Weise: »Es wird lange dauern, bis der Gesandte Lightner seine Freundin wieder einmal ausführt und versucht, es mit ihr übers Wochenende in Ostberlin zu treiben.« 14
Drüben in Washington war Kennedy jedoch gar nicht erfreut. Der Präsident versuchte gerade, neue Verhandlungen mit den Sowjets in die Wege zu leiten, und nicht, eine neue Konfrontation zu provozieren. »Wir haben ihn [Lightner] nicht nach Berlin geschickt, damit er in
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