Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt
Ostberlin in die Oper geht«, war sein Kommentar. Dabei täuschte er sich nicht nur im Veranstaltungsort, sondern übersah auch die Tatsache, dass Lightner nur die Richtlinien von Kennedys eigenem »persönlichen Vertreter« in Berlin befolgt hatte. 15
Zur selben Zeit musste sich Kennedy noch mit einem anderen Problem auseinandersetzen. Nur vier Tage zuvor hatte ihm Clay seinen Rücktritt angeboten, wenn man ihm nicht einen wirksameren Einsatz erlauben wolle. Der US-Präsident konnte ein politisches Erdbeben nur verhindern, wenn er Clay mehr Spielraum ließ.
HAUPTOUARTIER DER US ARMY, CLAYALLEE, WESTBERLIN
MITTWOCH, 18. OKTOBER 1961
Die zunehmende Frustration hatte General Clay dazu gebracht, in seinem ersten persönlichen Brief, den er seit seiner Rückkehr nach Berlin an John F. Kennedy schrieb, seinen Rücktritt anzubieten.
Der Nationale Sicherheitsberater Bundy hatte den US-Präsidenten bereits bei Clays Ernennung gewarnt, dass er damit »eine weitere MacArthur-Truman-Affäre« riskiere. Er spielte damit auf Trumans politisch verheerende Entscheidung an, General MacArthur zu feuern, nachdem dieser öffentlich der Politik seines Präsidenten im Korea-Krieg widersprochen hatte. 16 MacArthur wollte damals China bombardieren, und Bundy nahm jede Wette an, dass Clay in Berlin aggressiver auftreten wollte als der US-Präsident, und zwar zu einer Zeit, da die Kennedy-Administration erwog, Chruschtschow größere Zugeständnisse hinsichtlich Berlins zu machen.
Obwohl Clay in seinem Brief einen weit lautloseren Rücktritt als den von MacArthur anbot, muss er gewusst haben, dass die Gründe für seinen Abschied von Berlin ziemlich sicher durchsickern würden. 17 Dies würde Kennedys Kritiker noch weiter aufbringen und die Berliner noch mehr entmutigen.
Clay entschuldigte sich bei Kennedy zunächst für die Länge seines Briefes, der 1791 Wörter umfasste, und für die Tatsache, dass er ihm nicht schon früher geschrieben habe. Er erklärte das damit, dass die vielen anderen Ereignisse, mit denen er seit seiner Ankunft in Berlin konfrontiert gewesen sei, es nicht wert waren, einem Präsidenten vorgelegt zu werden.
Aber dann kam er zu seinem eigentlichen Anliegen, als er dem Präsidenten schrieb: »Wir müssen uns unbedingt das Vertrauen der Berliner bewahren. Sonst wird die Flucht von Kapital und angesehenen Bürgern unsere Stellung hier zerstören, und der Verlust an Vertrauen in uns würde sich in der ganzen Welt ausbreiten.« Laut Clay scherten sich die Berliner kaum um das Verhalten der Franzosen und Briten, »aber wenn wir versagen, macht es ihnen Angst«.
Clay nahm wieder einmal kein Blatt vor den Mund. Er kritisierte indirekt Kennedys Umgang mit der Grenzabriegelung vom 13. August, der man sich seiner Ansicht nach ohne allzu große Risiken hätte widersetzen können. »Natürlich glaube ich nicht, dass wir einen Krieg hätten beginnen sollen, um den Mauerbau zu verhindern«, schrieb er, fuhr dann jedoch fort: »Aber zumindest hätten wir an einigen Stellen die Grenzen mit unbewaffneten Lastwagen überschreiten können. Diese begrenzte Aktion hätte vielleicht die Mauer verhindert.«
Allerdings machte Clay weniger Kennedy als seinen Berliner Untergebenen Vorwürfe. »Ich war verblüfft, dass niemand hier eine solche spezielle Aktion vorgeschlagen hat.« Er kritisierte die risikoscheue Kultur, die sich unter den amerikanischen höheren Dienstgraden in Berlin breitgemacht habe. »Es braucht nur ein paar Ablehnungen, um unabhängiges Denken und positive Vorschläge im Keim zu ersticken«, gab er zu bedenken. Es bereite ihm Sorgen, dass Kennedy keinen Zugang zu unabhängigeren Ansichten wie seiner eigenen habe. Selbst »ein so fähiger Kommandeur wie General Lauris Norstad« (der Oberkommandierende des strategischen NATO-Kommandos Europa) sei von der Zögerlichkeit der Verbündeten angesteckt worden.
Dann kam Clay auf den Punkt: auf die »dringende Notwendigkeit, der Beeinträchtigung unserer Rechte« durch die DDR ein Ende zu setzen, »während sich die sowjetischen Kräfte im Hintergrund halten«. Er mochte es ganz und gar nicht, dass das Oberkommando der US-Streitkräfte in Europa seine Empfehlung, die Vereinigten Staaten sollten auch auf kleinere Zwischenfälle reagieren, »ohne Federlesen verworfen« habe. Er forderte den Präsidenten auf, ihm größere Vollmachten zu erteilen, um solchen Herausforderungen wie den DDR-Grenzkontrollen entgegenzutreten, deren Gesamtwirkung ernster sei, als es Kennedys
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