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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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Überblick über die europäische Meinung schrieb das Wall Street Journal, Kennedy erwecke »stark den Eindruck […] eines taumelnden Amerika, das verzweifelt versucht, im Kalten Krieg die Führung des Westens zurückzugewinnen«. 29 Die Neue Zürcher Zeitung bedauerte, dass der Gipfel von den Amerikanern schlecht vorbereitet worden und Kennedy von der Vorbedingung abgerückt sei, der Kreml müsse vor einem solchen Treffen einen deutlichen Kurswechsel signalisieren.
    Obwohl Wien im Prinzip neutraler Boden war, hielten europäische Diplomaten Österreich dennoch für viel näher an der russischen Einflusssphäre als die Alternative Stockholm. 30 Somit entstehe der Eindruck, Kennedy werde sich sowohl am Ort als auch zum Zeitpunkt von Chruschtschows Wahl mit dem sowjetischen Staatschef treffen, kommentierte die Neue Zürcher Zeitung. Ein angeschlagener US-Präsident versuche in aller Eile, seine Bündnispartner ins Boot zu holen, und komme schwach nach Österreich, um den mächtigen russischen Führer persönlich zu treffen. 31
    OSTBERLIN
FREITAG, 19. MAI 1961
    Da er Rückenwind spürte, wagte der ostdeutsche Staatschef Walter Ulbricht ein forscheres Vorgehen in Berlin. Der sowjetische Botschafter in der DDR, Michail Perwuchin, beklagte sich bei Außenminister Gromyko, dass Ulbricht, ohne Genehmigung des Kremls, über verstärkte Ausweiskontrollen von Zivilisten den Druck auf Westberlin erhöhe.
    »Unsere Freunde«, sagte der Botschafter und gebrauchte die in Moskau übliche Bezeichnung für die ostdeutschen Verbündeten, »möchten jetzt über die Sektorengrenze zwischen dem demokratischen Berlin und Westberlin eine Kontrolle verhängen, die es ihnen ermöglicht, ›das Tor zum Westen zu schließen‹, wie sie es nennen, den Bevölkerungsaderlass der Republik zu reduzieren und die Aktionen wirtschaftlicher Diversion gegen die DDR zu schwächen, die unmittelbar von Westberlin ausgehen.« Er berichtete ferner, dass Ulbricht entgegen der sowjetischen Linie die Sektorengrenze Berlins abschotten wolle. 32

    Chruschtschow fürchtete, Ulbricht könnte den Bogen überspannen, sodass die Amerikaner den Gipfel womöglich absagten. Er forderte Perwuchin deshalb auf, seinen immer ungeduldigeren und anmaßenderen ostdeutschen Vasallen in die Schranken zu weisen.
    WASHINGTON, D.C.
SONNTAG, 21. MAI 1961
    Präsident John F. Kennedy fürchtete seinerseits allmählich, dass er im Begriff war, den Sowjets in die Falle zu gehen.
    Zwei Wochen vor dem Gipfeltreffen setzte sich Robert Kennedy erneut mit Bolschakow in Verbindung, diesmal an einem Sonntag, einem Zeitpunkt, zu dem ihr Treffen weniger Aufsehen erregte. Der Justizminister lud den sowjetischen Agenten zu einem zweistündigen Gespräch nach Hickory Hill, seinem Landsitz in McLean, Virginia, ein. 33
    Bolschakow legte die sowjetische Haltung dar, nachdem er vor dem Treffen routiniert eine fünfseitige detaillierte Instruktion auswendig gelernt hatte. Er hatte ein bemerkenswertes Gedächtnis, und mit seiner ungezwungenen Art überspielte er die Tatsache, dass die Rolle, als Nachrichtenkanal zu dienen, für ihn immer noch ungewohnt war.
    Robert Kennedy machte deutlich, dass er im Namen des Präsidenten sprach. Er ermahnte Bolschakow, ihn nur von einem Münzfernsprecher aus anzurufen, wenn er mit ihm Kontakt aufnahm, und nur seiner Sekretärin und seinem Pressesprecher Ed Guthman seinen Namen zu nennen. Wenn Bolschakow nicht das Risiko eingehen wolle, selbst anzurufen, werde Holeman das für ihn übernehmen. Und zu Guthman sagte er: »Mein Mann möchte deinen Mann treffen.« Bobby unterrichtete Bolschakow, dass nur sein Bruder über die Treffen informiert sei und dass dieser sie billige. 34
    Im Gegensatz dazu war Bolschakows Rolle inzwischen einem größeren Kreis von sowjetischen Funktionären mitgeteilt worden. Der militärische Nachrichtendienst GRU leitete sämtliche Berichte Bolschakows an Anatolij Dobrynin weiter, den Angestellten des Außenministeriums, der die Gruppe der sowjetischen Berater für die Wiener Gipfelgespräche leitete. Ein Moskauer Vorgesetzter Bolschakows schrieb verblüfft über das Treffen vom 21. Mai mit Robert Kennedy: »Die Situation, dass sich ein Mitglied der US-Regierung mit
unserem Mann trifft, noch dazu geheim, ist absolut einmalig.« Moskau schickte Instruktionen an die Botschaft und an seine Geheimdienstmitarbeiter, damit die Treffen weiterhin vor der amerikanischen Presse und dem FBI geheim gehalten würden. 35
    Robert Kennedy teilte Bolschakow

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