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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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erfolgen könne, ohne dass die Rechte der Amerikaner beeinträchtigt würden. Thompson wiederholte seine Überzeugung, dass Chruschtschow die Berlin-Frage bis zum Parteitag im Oktober nicht forcieren werde. In Wien werde Chruschtschow, so vermutete der Botschafter, »in einer überaus freundlichen Atmosphäre die Berlin-Frage streifen«.
    Dennoch schlug Thompson vor, dass Kennedy in Wien Chruschtschow eine Lösung zu Berlin vorschlug, bei der beide Seiten das Gesicht wahren
konnten, weil das Problem wahrscheinlich noch im laufenden Jahr akut werden dürfte. Andernfalls liege, so Thompson, »ein Krieg in der Luft«. 38
    Am selben Tag erhielt Kennedy eine ganz andere Interpretation aus Berlin. Der Leiter der dortigen US-Vertretung, Diplomat E. Allan Lightner jun., sagte, Moskau könne »mit dem Status quo Berlins eine Zeitlang leben« und dass sich Chruschtschow keine Frist für ein Vorgehen gesetzt habe. Deshalb könne Kennedy, so Lightner, Chruschtschow in Wien einschüchtern, indem er unmissverständlich signalisiere, dass die Vereinigten Staaten entschlossen seien, die Freiheit der Stadt zu verteidigen, und dass »die Sowjets die Finger von Berlin lassen sollten«.
    Lightner wollte sichergehen, dass Kennedy sich darüber im Klaren war, welche Konsequenzen es hätte, in Wien Schwäche zu zeigen. »Jedes Indiz, dass der Präsident bereit ist, über Interimslösungen, Kompromisse oder einen Modus Vivendi zu diskutieren«, schrieb er, »würde die Wirkung einer Warnung an Chruschtschow angesichts der finsteren Folgen einer Fehleinschätzung unserer Entschlossenheit abschwächen«. 39
    WASHINGTON, D.C.
DONNERSTAG, 25. MAI 1961
    Wie ein Autor, der sich die ersten unbefriedigenden Entwürfe ansieht, entschied sich Kennedy, am 25. Mai, also nur zwölf Wochen nach der ersten Rede zur Lage der Nation, eine zweite Rede zu halten, »eine Sonderansprache an die Nation zu dringenden nationalen Bedürfnissen«. Er hatte erkannt, dass er vor Wien und nach der Invasion in der Schweinebucht das Terrain bereiten musste, indem er Chruschtschow unmissverständlich seine Entschlossenheit signalisierte.
    Robert Kennedy hatte auf einem der Treffen mit Bolschakow Chruschtschow vorgewarnt, dass der Wunsch des Präsidenten, eine Kooperation zu erreichen, nicht nachgelassen habe, obwohl er in seiner Rede recht scharfe Worte gebrauchen werde. Die Übermittlung durch Bolschakow schien aber nicht geeignet zu sein, um eine Botschaft der Stärke auszurichten, die ebenso sehr für die eigene Bevölkerung wie für Chruschtschow gedacht war.
    Vor einer gemeinsamen Sitzung der beiden Häuser des Kongresses und vor einem landesweiten Fernsehpublikum erklärte Kennedy, dass amerikanische
Präsidenten in »außergewöhnlichen Zeiten« gelegentlich in einem Jahr eine zweite Rede zur Lage der Nation gehalten hätten. Momentan sei eine solche Zeit. Da die Vereinigten Staaten für die Freiheit in der Welt verantwortlich seien, erklärte er, werde er eine »Doktrin der Freiheit« verkünden.
    Die achtundvierzigminütige Rede des Präsidenten um die Mittagszeit wurde siebzehnmal von Applaus unterbrochen. Er unterstrich die Notwendigkeit einer gesunden amerikanischen Wirtschaft, und er pries das Ende der Rezession und den Beginn des Aufschwungs. Die südliche Hemisphäre nannte er die »Länder der aufstrebenden Völker« (Asien, Lateinamerika, Afrika und der Nahe Osten), wo man den Gegnern der Freiheit auf dem »größten Schlachtfeld der Welt« entgegentreten müsse.
    Kennedy forderte eine Aufstockung der Verteidigungsausgaben um rund 700 Millionen Dollar, um das Militär zu vergrößern und zu modernisieren, um die Sowjets beim Wettrüsten zu überholen und den Zivilschutz mit einer Verdreifachung der Gelder für den Bau von Atomschutzbunkern zu verbessern. Er wollte 15 000 neue Marineinfanteristen einziehen und die Guerilla-Kriege in der Dritten Welt in den Brennpunkt rücken, indem er die Lieferung von Haubitzen, Hubschraubern, bewaffneten Mannschaftstransportern und kampfbereiten Reserveeinheiten erhöhte. Darüber hinaus erklärte er, dass die Vereinigten Staaten bis zum Ende des Jahrzehnts einen bemannten Raumflug zum Mond und zur Erde zurück planten. Er war fest entschlossen, diesen Wettlauf gegen die Sowjets zu gewinnen, die den ersten Satelliten und den ersten bemannten Raumflug gestartet hatten.
    Nur neun Tage vor dem Gipfel in Wien lautete seine Botschaft an die Amerikaner, dass die Welt stündlich gefährlicher werde, Amerika eine weltweite

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