Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
Vom Netzwerk:
auf seine Ausdauer und Laune während der Reise haben würde. An manchen Tagen badete oder duschte der Präsident fünfmal heiß, um den Schmerz zu lindern. Die Amerikaner wussten damals zwar nichts davon, aber der berühmte Schaukelstuhl stand eigentlich nur deshalb im Oval Office, weil beim Schaukeln das Pochen im Lendenwirbelbereich, in den die Ärzte fast ein Jahrzehnt lang Procain gespritzt hatten – ein hochwirksames Lokalanästhetikum, das hauptsächlich unter dem Markennamen Novocain bekannt ist –, verringert wurde. Travell behandelte Kennedy darüber hinaus wegen chronischer Nebennierenleiden, hohen Fiebers, erhöhten Cholesterinspiegels,
Schlaflosigkeit und Beschwerden im Magen-Darm-Bereich und an der Prostata.
    Jahre später erinnerte sich Travell, dass die Tage in Paris der Beginn »einer sehr schwierigen Phase« waren. Sie gab Kennedy zwei bis drei Spritzen täglich. Der Arzt des Weißen Hauses, George Burkley, war besorgt, weil das Procain nur eine vorübergehende Taubheit verursachte, auf die ein noch heftigeres Brennen folgte. Anschließend brauchte man noch höhere Dosen und noch stärkere Anästhetika. Burkley hatte mehr Bewegung und Krankengymnastik verordnet, aber Kennedy zog die raschere Lösung mittels Arzneimittel vor. 10
    Travell führte fein säuberlich Buch über die Medikation, um nicht den Überblick über den Cocktail aus Pillen und Spritzen zu verlieren, die sie dem Präsidenten verabreichte: Penicillin gegen Harnwegsinfektionen und Abszesse, Tuinal zum Einschlafen, Transentin, um Durchfall und Gewichtsverlust zu bremsen, sowie eine Reihe anderer Medikamente wie Testosteron und Phenobarbital. Allerdings war sie außerstande, die Anwendungen eines unkonventionelleren Mediziners zu dokumentieren, der nicht ganz offiziell nach Paris und Wien mitgereist war.
    Der von seinen berühmten Patienten, zu denen Tennessee Williams und Truman Capote zählten, nur »Dr. Feelgood« genannte Dr. Max Jacobson versorgte Kennedy mit Spritzen, die Hormone, organische Zellen von Tieren, Steroide, Vitamine, Enzyme und – vor allem – Amphetamine enthielten, um Ermüdungserscheinungen und Depressionen zu bekämpfen. 11
    Kennedy war mit Jacobsons Arzneien so zufrieden, dass er sie auch Jackie nach der schwierigen Entbindung ihres Sohnes John-John im November empfohlen hatte – und vor der Paris-Reise ebenfalls, um ihre Ausdauer zu steigern. 12 Am Abend des großen Staatsbanketts mit de Gaulle in Versailles verabreichte Dr. Feelgood Kennedy die übliche Spritze. Der kleine dunkelhaarige Arzt mit seinen roten Backen begab sich anschließend durch die Suite des Präsidentenpaares in Jackies Schlafzimmer, wo sie gerade ein elegantes Abendkleid, das der französische Modeschöpfer Givenchy entworfen hatte, einem Kleid des amerikanischen Designers Oleg Cassini vorzog, um ihre Zuneigung zum Gastland zu dokumentieren. 13
    Als Dr. Jacobson kam, schickte sie alle aus dem Zimmer. Dann steckte er eine Nadel in ihr Hinterteil und spritzte ihr eine Flüssigkeit, die ihr helfen sollte, ein Sechs-Gänge-Menü im Spiegelsaal mit einem strahlenden Lächeln zu überstehen. Truman Capote pries Jacobsons Behandlungsmethode später mit den Worten: »Man fühlt sich wie Superman. Man fliegt förmlich. Mit
Lichtgeschwindigkeit kommen einem Gedanken. Man hält zweiundsiebzig Stunden durch, allenfalls mit einer Kaffeepause.« 14
    Diese Cocktails für den militärischen Oberbefehlshaber konnten unter Umständen jedoch erhebliche Konsequenzen für die nationale Sicherheit haben, und das so kurz vor dem wichtigen Treffen mit dem sowjetischen Parteichef. Abgesehen davon, dass die Wirkstoffe, die Kennedy einnahm, süchtig machen konnten, zählten Hyperaktivität, Hypertonie, beeinträchtigtes Urteilsvermögen und Nervosität zu den potenziellen Nebenwirkungen. Zwischen den einzelnen Dosen konnte seine Stimmung von übersteigertem Selbstvertrauen bis hin zu depressiven Anfällen extrem schwanken. 15
    Auf Drängen seines Bruders Robert leitete der Präsident später Proben von Jacobsons Gebräu an die Food and Drug Administration, die Lebens- und Arzneimittelaufsicht, zur Analyse weiter. Kennedy störte es nicht im Geringsten, als die FDA ihm mitteilte, dass Dr. Feelgood ihn mit Steroiden und Amphetaminen aufputschte. »Und wenn es Pferdepisse ist, das ist mir egal«, erwiderte Kennedy. »Es ist das Einzige, was mir hilft.« 16
    Bei der Ausarbeitung der Strategie für Paris hatte sich Kennedy drei Hauptziele gesetzt, die alle mit Wien

Weitere Kostenlose Bücher