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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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war zurückhaltender als das Büro des Weißen Hauses). In Anbetracht der frostigen Beziehung de Gaulles zu Kennedys Vorgängern Eisenhower und Roosevelt war der herzliche Empfang für Kennedy ein Neuanfang. De Gaulle hatte alle US-Präsidenten im Verdacht, dass sie die Führungsstellung Frankreichs in Europa untergraben und eine eigene errichten wollten. Abgesehen davon sonnte er sich jedoch munter in der Berühmtheit des Präsidentenpaares, dessen Bilder die Titelblätter aller französischen Zeitschriften zierten. Der Altersunterschied mochte ebenfalls zur Entkrampfung beigetragen haben, weil de Gaulle so seine Lieblingsrolle des weisen, legendären Akteurs der Geschichte spielen konnte, der den jungen, vielversprechenden Amerikaner unter seine Fittiche nahm. 5
    Auf dem Flughafen Orly hatte de Gaulle am selben Morgen um 10 Uhr Kennedy auf einem riesigen roten Teppich begrüßt, flankiert von fünfzig schwarzen Citroëns und einer berittenen Ehrenwache der Republikanischen Garde. Mit seinen einsneunzig stieg »le Général« im Zweireiher aus dem Wagen und stand stramm, während eine Kapelle die »Marseillaise« spielte.
    »Seite an Seite«, berichtete die New York Times, »bewegten sich die beiden
Männer den ganzen Tag durch Paris – alt neben jung, Größe neben Nonchalance, Mystizismus neben Pragmatismus, Ernsthaftigkeit neben Eifer.« 6
    Bild 49
    31. Mai: Kinder schwenken amerika- nische Fähnchen, um Kennedy in Paris zu begrüßen.
    Die Jubelrufe ertönten so laut, während die beiden Männer über den Boulevard Saint-Michel am linken Seine-Ufer fuhren, dass de Gaulle den US-Präsidenten überredete, vom Rücksitz der offenen Limousine aufzustehen. Prompt schwoll der Jubel der Menge noch stärker an. Trotz eines kühlen Windes fuhr Kennedy ohne Kopfbedeckung und nur mit einem dünnen Mantel bekleidet. Er zog sich auch am Nachmittag nicht wärmer an, als ein Regenguss die beiden Männer bei ihrem kurzen Ausflug zu den Champs-Élysées bis auf die Haut durchnässte – was de Gaulle ohne ein Wort der Klage ertrug. 7
    Hinter dem ganzen irreführenden Spektakel verbarg sich jedoch ein US-Präsident, der in die bislang wohl wichtigste Woche seiner Amtszeit als müder, angeschlagener Oberbefehlshaber ging, der für das, was ihn in Wien erwartete, unzureichend vorbereitet und körperlich nicht fit genug war. Chruschtschow würde insbesondere nach der Schweinebucht-Affäre sorgfältig nach Kennedys Schwächen Ausschau halten.

    Im eigenen Land sah sich Kennedy mit gewalttätigen Rassenkonflikten konfrontiert, die in den Südstaaten ausgebrochen waren, weil die Afroamerikaner inzwischen entschlossen waren, ihre zweihundertjährige Unterdrückung zu beenden. Ganz akut drehte sich derzeit das Problem um die sogenannten »Freedom Riders«, die sich darum bemühten, die Rassentrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln aufzuheben. Die Kennedy-Administration hatte die Aktion nur halbherzig unterstützt, und fast zwei Drittel der Amerikaner lehnten sie ab.
    Außenpolitisch war die Reise nach Paris und Wien wegen des Scheiterns in Kuba, des ungelösten Laos-Konflikts und der wachsenden Spannungen um Berlin mit starken Risiken behaftet. Kennedy stellte für sich sogar eine Verbindung zu Berlin her, wenn er sich mit Rassenproblemen im eigenen Land auseinandersetzte. Als Pater Theodore Hesburgh, ein Mitglied seiner Bürgerrechtskommission, das Zögern des Präsidenten ansprach, mutigere Maßnahmen zur Aufhebung der Rassentrennung in den Vereinigten Staaten zu ergreifen, erwiderte Kennedy: »Sehen Sie, Pater, es kann durchaus sein, dass ich schon morgen die Nationalgarde von Alabama nach Berlin schicken muss, und ich möchte das nicht mitten in einer Revolution im eigenen Land tun.« 8
    Man hätte es als eines der vielen anfänglichen Missgeschicke seiner Präsidentschaft deuten können, dass sich Kennedy ernsthaft die Rückenmuskeln verletzt hatte, als er in Ottawa einen Baum pflanzte. Auf dem langen Flug nach Europa waren die Schmerzen noch stärker geworden. Zum ersten Mal seit seiner Rückenoperation von 1954 zur Versteifung der Wirbelsäule ging er wieder mit Krücken. In der Öffentlichkeit weigerte er sich, sie zu benutzen, aber dadurch verstärkte er während seines Frankreich-Aufenthalts nur die Schmerzen, weil der Rücken stärker belastet wurde. 9
    Kennedys persönliche Ärztin, Janet Travell, die ihn nach Paris begleitete, machte sich Sorgen wegen der verstärkten Schmerzen und der Auswirkungen, die deren Behandlung

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