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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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einzigen Tischtuch aus weißer Organza und goldener Stickerei bedeckt war. Die Kennedys wunderten sich, wie jemand so etwas herstellen konnte. Das Kammerorchester der Republikanischen Garde spielte verschiedene Stücke von Gershwin bis Ravel, wobei jedes eine amerikanischfranzösische Anspielung enthielt.
    Bild 50
    Das Präsidentenpaar auf dem Weg zu einem Staatsbankett, das zu seinen Ehren im Élysée-Palast gegeben wird.
    In seinen Kommentaren machte Kennedy einen Scherz darüber, wie stark sein Leben französisch geprägt war: »Ich schlafe in einem französischen Bett. Am Morgen wird mir das Frühstück von einem französischen Küchenchef serviert; ich gehe ins Büro, und die schlechten Nachrichten des Tages werden mir von meinem Pressesprecher, Pierre Salinger, überbracht, wenn auch nicht in seiner Muttersprache [Französisch], und ich bin mit einer Tochter Frankreichs verheiratet.« 27
    Die hohen französischen Fenster gaben den Blick auf einen regnerischen Abend draußen frei, wo die Rasenflächen und Springbrunnen im Licht der Scheinwerfer smaragdgrün erstrahlten. Zu dem Empfang nach dem Bankett waren insgesamt tausend Gäste geladen, die die Washington Post als »unbeschreiblich
elegant« bezeichnete. Die Franzosen stolzierten mit breiten Schärpen über der Hemdbrust umher, riesige Sterne und Kreuze baumelten an ihren Fräcken, und sie hatten sich ganze Reihen von Orden ans Revers geheftet. Die Frauen trugen lange Handschuhe und Juwelen, und ein paar ältere Damen hatten sich einen extravaganten Kopfschmuck aufgesetzt. 28
    Doch der Star des Abends war Jackie, die ein blassrosa Abendkleid mit einer weißen Borte im Stil des griechisch angehauchten Directoire trug. Alexandre, der Coiffeur der Pariser High Society, flüsterte dem Korrespondenten der New York Times zu, dass er für diesen Abend das Haar der First Lady um einen Zoll gekürzt und den Pony geschnitten hatte, sodass sie wie »eine gotische Madonna« wirkte. Für das nächste Bankett in Versailles versprach der Starfriseur eher eine Frisur im Stil Ludwigs XIV., mit diamantbesetzten Flammenspangen im Haar, um »ihr ein elfenähnliches Aussehen zu verleihen«.
    Kennedys Mutter Rose, die »schlank wie eine Tanne« war, trug ein bodenlanges Abendkleid des Designers Cristobal Balenciaga aus weißer Seide, verziert mit rosa Blumen, die echte Diamanten in ihrer Mitte hatten. Die Pariser Zeitungen schwärmten geradezu, wie erfrischend europäisch doch alle Kennedys auftraten. 29
     
    Während der »Badewannengespräche« am nächsten Tag dachte Kennedy mit seinen Freunden über de Gaulles Beobachtung nach, dass der Westen niemals die Freiheit Westberlins gewährleisten könne, wenn er nicht bereit sei, die Atombombe einzusetzen.
    »Also befinden wir uns in einer geradezu lächerlichen Situation«, sagte Kennedy, während das Wasser einlief. »Es scheint doch geradezu unsinnig für uns, einen Atomkrieg wegen eines Vertrags zu riskieren, der Berlin als die künftige Hauptstadt eines vereinigten Deutschlands garantiert, wenn wir alle genau wissen, dass Deutschland wahrscheinlich nie wiedervereinigt wird. Aber wir sind an diesen Vertrag gebunden, genau wie die Russen, deshalb dürfen wir nicht zulassen, dass sie sich davon verabschieden.« 30

    WIEN
SAMSTAG, 3. JUNI 1961
    Kennedys Vorhut hatte die Ankunft des US-Präsidenten in Wien bewusst so inszeniert, dass Chruschtschow sich darüber ärgerte. Der Parteichef hatte seinen Mitarbeitern bereits anvertraut, dass er auf die steigende Popularität Kennedys eifersüchtig war. Je stärker sich die Sowjets gegen einen großartigen Empfang auf dem Flughafen und gegen eine Wagenkolonne wehrten, desto energischer hatte O’Donnell darauf bestanden. Nach jedem sowjetischen Einspruch forderte er noch mehr Limousinen und Fahnen.
    Wien sonnte sich in dem Wettstreit um die Aufmerksamkeit. Noch nie hatte eine Begegnung zweier Staatsoberhäupter einen so großen Medienrummel ausgelöst. Mindestens 1500 Reporter mit ihrer gesamten Ausrüstung und allen Assistenten waren vor Ort, um über die beiden Männer und die Gespräche zu berichten.
    Hektisch machten die Fotografen Schnappschüsse von der historischen ersten Begegnung der beiden Männer um 12:45 Uhr auf dem roten Teppich auf der Eingangstreppe zur Residenz des US-Botschafters, wo sie unter dem Vordach des grauen Stuckgebäudes mit den braunen Steinsäulen posierten. Ein kleiner, kreisrunder Hof war im Hintergrund, verborgen von dichten Tannen und regenschweren

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