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Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt

Titel: Berlin 1961 - Kennedy, Chruschtschow und der gefährlichste Ort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Kempe
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sowjetischen Block gezählt seien, die ihrem Volk »nicht die Hebung des Lebensstandards« sichern konnten. Gleichzeitig erklärte Kennedy, die Vereinigten Staaten würden sich nicht dort einmischen, wo das Prestige des Kremls auf dem Spiel stehe – und Moskau solle sich an dieselben Regeln halten.
    Chruschtschow schoss zurück, dass die amerikanische Politik inkonsequent sei, entschuldigte sich anschließend bei Kennedy, er wolle damit nicht ihn persönlich kritisieren, weil er ja erst seit kurzem im Weißen Haus sitze. Der Sowjetführer kam erneut auf das Thema Iran zu sprechen: Bei aller Betonung der Demokratie seitens der USA unterstütze Washington doch den Schah, der erklären würde, »er hätte seine Macht von Gott erhalten, aber wir wissen doch, wer er ist. Sein Vater hat die Macht durch Mord und Gewalt erobert, vorher war er einfacher Wachtmeister der Kavallerie. Und einen solchen Menschen
unterstützen Sie. Sie geben im Iran viel Geld aus, um das reaktionäre Regime des Schahs zu unterstützen, aber die Liebe des Volkes genießt es ohnehin nicht, weil all Ihr Geld von den käuflichen Menschen in der Umgebung des Schahs gestohlen wird.«
    Um noch stärker zu verdeutlichen, was er als amerikanische Heuchelei verurteilte, führte Chruschtschow Washingtons Unterstützung des spanischen Diktators Franco ins Feld. »Sie wissen sehr gut, auf welchem Weg er zur Macht gelangte«, sagte der Parteichef, »und trotzdem unterstützen Sie ihn. Es kommt doch so heraus, dass Sie in Wirklichkeit allen reaktionären Regimen Unterstützung gewähren. Das heißt also in den Augen der Völker, dass Sie deren Feinde unterstützen.« Er gab zu, dass Castro tatsächlich ein Kommunist werden könnte, auch wenn er es nicht von Anfang an war. Chruschtschow war der Meinung, dass amerikanische Sanktionen ihn Moskau in die Arme getrieben hätten.
    Kennedy steckte ganz schön in der Klemme. Bei aller Bereitschaft, mit Chruschtschow zu diskutieren, versäumte er es, den sowjetischen Regierungs-und Parteichef dort zur Rede zu stellen, wo er am verwundbarsten war. Kennedy verurteilte mit keinem Wort den sowjetischen Gewalteinsatz in der DDR und Ungarn 1953 und 1956. Noch schlimmer, er stellte in diesem Zusammenhang auch nicht die allerwichtigste Frage: Warum flüchteten denn die Ostdeutschen zu hunderttausenden in ein besseres Leben im Westen?
    Gegen Ende des ersten Tages griff Kennedy das Thema Polen noch einmal auf und argumentierte, dass bei demokratischen Wahlen in diesem Land die derzeitige sowjetfreundliche Regierung durchaus durch eine ersetzt werden könnte, die dem Westen näherstand. Chruschtschow gab sich regelrecht brüskiert. Es sei nicht gerade respektvoll, meinte er, wenn Kennedy so von einer Regierung spreche, »mit der Ihr Land normale diplomatische Beziehungen unterhält«. Er argumentierte, das polnische Wahlsystem sei »demokratischer als das Wahlsystem der USA«.
    Die anschließenden Bemühungen Kennedys, zwischen dem Mehrparteiensystem Amerikas und dem Einparteienstaat Polen zu differenzieren, waren vergeblich. Die beiden Männer konnten sich nicht auf eine Definition von Demokratie einigen, geschweige denn auf die Frage, ob Polen eine Demokratie war.
    Sie umkreisten mit Chruschtschows Attacken und Kennedys Paraden den ganzen Globus geografisch wie ideologisch von Angola bis hin zu Laos. Das größte Zugeständnis Chruschtschows an diesem Tag war, dass er ein neutrales,
unabhängiges Laos akzeptierte – ein Abkommen, das die Mitarbeiter der beiden Weltmächte am Rand des Wiener Gipfeltreffens aushandeln sollten. Es war völlig untypisch für ihn, dass er dafür wenig im Gegenzug von Kennedy verlangte.
    Chruschtschow machte gewissermaßen reinen Tisch für das Thema, das er am nächsten Tag in den Mittelpunkt rücken wollte: Berlin.
     
    Kennedy kündigte um 18:45 Uhr, nach sechs Stunden fast ununterbrochener Gespräche, eine Pause an. Müde und ausgelaugt wies er auf die vorgerückte Uhrzeit hin und schlug vor, den nächsten Punkt auf der Tagesordnung, die Frage eines Verbots von Kernwaffentests, am selben Abend beim Abendessen mit dem österreichischen Bundespräsidenten zu erörtern, damit man sich während des größten Teil des folgenden Tages Berlin widmen könne. Kennedy ließ Chruschtschow aber auch die Option, am nächsten Tag über beide Themen zu sprechen.
    Der US-Präsident wollte sichergehen, dass Chruschtschow nicht die Zusage zurücknahm, über einen Atomteststopp zu sprechen (er wusste genau, dass

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