Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
etwa nicht? Etwa blechen, drei Instanzen, und der Strolch wird sich amüsieren? Ein Neidhammel. Bei mir Schornstein, freier Abzug.«
Meck schlug sich mit der Faust gegen die Stirn: »Deutscher Michel, du gehörst in den Dreck, wo du drin liegst.«
Sie trennten sich von den Viehhändlern, Franz nahm Meck unter den Arm, sie pendelten allein durch die Brunnenstraße. Meck drohte hinter den Viehhändlern: »Sone Brüder. Haben uns auf dem Gewissen. Das ganze Volk, alle haben die auf dem Gewissen.« »Was sagst du, Gottlieb?« »Jammerlappen sind sie, statt dem Gericht die Fäuste zu zeigen, Jammerlappen, das ganze Volk, die Händler, die Arbeiter, durch die Bank.«
Plötzlich blieb Meck stehen und stellte sich vor Franz auf: »Franz, wir müssen mal zusammen sprechen. Sonst kann ich mich nicht von dir begleiten lassen. Auf keinen Fall.« »Na, fang an.« »Franz, ich muß wissen, wer du bist. Blick mir ins Gesicht. Sag mir hier ehrlich und aufs Wort, du hast es geschmeckt hier in Tegel, du weißt, was Recht und Gerechtigkeit ist. Dann muß auch Recht Recht bleiben.« »Ist wahr, Gottlieb.« »Also Franz, Hand aufs Herz: Was haben sie dir draußen für eine Tolle gedreht?« »Du kannst dir beruhigen. Kannst mir glauben: wenn du Hörner hast, die läßt du schön draußen. Bei uns haben sie Bücher gelesen und Stenographie gelernt, und dann haben sie Schach gespielt, ich auch.« »Schach kannst du auch?« »Na, wir kloppen schon unsern Skat weiter, Gottlieb. Also du sitzt da rum, viel Grips zum Nachdenken hast du nicht, bei uns Transportarbeitern steckt es mehr in den Muskeln und in den Knochen, dann sagst du eines Tages: Verflucht, laß dich nicht mit die Menschen ein, geh deiner eigenen Wege. Hände weg von die Menschen. Gottlieb, was soll unsereins mit Gericht und Polizei und Politik? Wir haben einen Kommunisten draußen gehabt, der war dicker als ich, der hat neunzehn in Berlin mitgemacht. Gefaßt haben sie ihn nicht, aber der ist nachher vernünftig geworden, hat eine Witwe kennengelernt und rin in ihr Geschäft. Ein schlauer Junge, siehst du.« »Wie ist denn der zu euch gekommen?« »Wird ne Schiebung versucht haben. Wir haben draußen immer zusammengehalten, und wer Lampen gemacht hat, der konnte seine Abreibung besehn. Aber lieber nischt mit die andern haben. Das ist Selbstmord. Immer laufen lassen. Anständig bleiben und for sich bleiben. Das ist mein Wort.«
»So«, sagte Meck und sah ihn steif an: »Dann könnten ja alle einpacken, das ist ja waschlappig von dir, daran gehen wir allesamt zugrunde.« »Soll nur einpacken, wer will, ist nicht unsere Sorge.« »Franz, du bist ein Waschlappen, das lass ich mir nich nehmen. Das wird sich rächen, Franz.«
Die Invalidenstraße spaziert Franz Biberkopf herunter, seine neue Freundin, die polnische Lina, zieht mit ihm. An der Chausseestraßen-Ecke ist ein Zeitungsstand im Hausflur, da stehen welche, quasseln.
»Achtung, hier nicht stehenbleiben.« »Man wird sich doch Bilder ansehen können.« »Kaufen Sie sich doch. Versperren Sie nicht die Passage.« »Dämlack.«
Reisebeilage. Wenn in unserem kalten Norden die unangenehme Zeit herangekommen ist, die zwischen schneeglitzernden Wintertagen und erstem Maiengrün liegt, zieht es uns – ein Jahrtausende alter Drang – nach dem sonnigen Süden jenseits der Alpen, nach Italien. Wer so glücklich ist, diesem Wandertriebe folgen zu können. »Nicht aufregen über die Leute. Sehn Sie mal hier, wie jetzt die Leute verwildern: Fällt son Kerl über ein Mädel her in der Stadtbahn, haut sie halb tot wegen fuffzich Mark.« »Dafür tu ichs auch.« »Was?« »Wissen Sie denn, Sie, was fuffzich Mark sind. Sie wissen das ja gar nicht, fuffzich Mark. Das ist ein Haufen Geld für unsereins, ein großer Haufen, Sie. Na also, wenn Sie wissen werden, was fuffzich Mark sind, dann rede ich weiter mit Ihnen.«
Fatalistische Rede des Reichskanzlers Marx: Was kommen soll, liegt nach meiner Weltanschauung bei der Vorsehung Gottes, der mit jedem Volk seine bestimmten Absichten hat. Menschenwerk wird demgegenüber nur Stückwerk bleiben. Wir können nur nach besten Kräften und unablässig arbeiten, entsprechend unsern Überzeugungen, und so werde ich getreulich und ehrlich meine Stelle ausfüllen, die ich jetzt einnehme. Ich schließe, meine sehr verehrten Herren, mit den besten Wünschen für eine erfolgreiche Arbeit in Ihrer mühevollen und opferbereiten Tätigkeit zum Wohle des schönen Bayern. Glück auf Ihrem ferneren Streben.
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