Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
»Vollendet hab ichs, ein Fischnetz warf ich ihm um und schlug zweimal, und mit zwei Seufzern streckte er sich, und dann schickte ich ihm noch einen dritten Hieb zum Hades nach.« Worauf die Senatoren bekümmert sind, immerhin aber die treffende Bemerkung finden: »Wir staunen deiner Rede Kühnheit an.« Diese Frau also wars, diese antike Bestie, die gelegentlich eines ehelichen Amüsements mit Agamemnon Mutter eines Knaben geworden war, welcher bei seiner Geburt den Namen Orestes erhielt. Sie wurde später von dieser Frucht ihrer Freuden gekillt, und ihn plagen dann die Erinnyen.
Da steht unser Franz Biberkopf anders da. Nach fünf Wochen ist auch seine Ida tot, im Krankenhaus Friedrichshain, komplizierter Rippenbruch, Riß im Brustfell, kleiner Lungenriß, anschließendes Empyem, Brustfellvereiterung, Lungenentzündung, Mensch, das Fieber geht nicht runter, wie siehst du schon aus, nimm dir n Spiegel, Mensch, du bist erledigt, du bist hin, du kannst einpacken. Sie haben sie seziert, in die Erde getan in der Landsberger Allee, drei Meter unter der Erde. Mit Haß auf Franz ist sie gestorben, seine Stinkwut auf sie hat auch nach ihrem Tod nicht nachgelassen, ihr neuer Freund, der Breslauer, hat sie noch besucht. Da liegt sie unten, schon fünf Jahre, wagerecht auf dem Rücken, die Holzbretter faulen an, sie zerfließt in Jauche, sie, die einmal in Treptow im Paradiesgarten mit Franz getanzt hat in weißen Segelschuhen, die geliebt und sich herumgetrieben hat, sie hält ganz still und ist nicht mehr da.
Er aber hat seine vier Jahre abgemacht. Der sie getötet hat, geht herum, lebt, blüht, säuft, frißt, verspritzt seinen Samen, verbreitet weiter Leben. Sogar Idas Schwester ist ihm nicht entgangen. Mal wird es auch ihn erwischen. Ist doch auch ich weiß nicht wer gestorben. Aber es hat noch gute Weile damit. Das weiß er. Inzwischen wird er weiter in den Kneipen frühstücken und auf seine Weise den Himmel über dem Alexanderplatz loben: Seit wann bläst deine Großmama Posaune, und: Mein Papagei frißt keine harten Eier.
Und wo ist jetzt die rote Gefängnismauer von Tegel, die ihm so Angst gemacht hatte, er kam mit dem Rücken davon nicht los. Der Pförtner steht an dem schwarzen eisernen Tor, das Franz einmal solchen Widerwillen erregt hatte, das Tor hängt noch immer in seinen Angeln, es stört keinen, es lüftet ständig gut aus, abends wird es geschlossen, wie das jedem guten Tor geschieht. Jetzt am Vormittag steht der Pförtner davor, raucht seine Pfeife. Die Sonne scheint, es ist immer dieselbe Sonne, von der man genau voraussagen kann, wann sie irgendwo am Himmel stehen wird. Ob sie scheint, hängt von der Bewölkung ab. Aus der 41 steigen eben einige Personen, die tragen Blumen und kleine Päckchen, wollen wahrscheinlich ins Sanatorium geradeaus, links die Chaussee herunter, frieren sämtlich stark. Die Bäume stehen in einer schwarzen Reihe. Drin hokken die Sträflinge noch immer in ihren Zellen, hantieren in den Arbeitsräumen, ziehen im Gänsemarsch über den Spazierhof. Strenger Befehl, in der Freistunde nur mit Schuhen, Mütze und Halstuch zu erscheinen. Zellenbesuch vom Alten: »Wie war gestern die Abendsuppe?« »Sie könnte besser sein und ruhig etwas mehr.« Will er nicht hören, stellt sich taub: »Wie oft kriegen Sie Bettwäsche?« Als ob er das nicht wüßte.
Einer in Einzelhaft schreibt: »Laßt Sonne herein! Das ist der Ruf, der heute durch die ganze Welt hallt. Nur hier, hinter Kerkermauern, hat er noch keinen Widerhall gefunden. Sind wir nicht wert, daß uns die Sonne bescheint? Die Bauart der Strafanstalten bringt es mit sich, daß die Seiten einiger Flügel das ganze Jahr hindurch nicht von den Sonnenstrahlen beschienen werden, nordöstliche Flügelseite. Kein Sonnenstrahl verliert sich in diese Zellen und bringt Grüße an deren Bewohner. Jahraus jahrein müssen die Leute ohne den belebenden Sonnenschein schaffen und verwelken.« Eine Kommission will den Bau besichtigen, die Aufseher laufen von Zelle zu Zelle.
Ein anderer: »An die Staatsanwaltschaft am Landgericht. Während der Gerichtsverhandlungen gegen mich vor der Großen Strafkammer des Landgerichts teilte mir der Vorsitzende, Herr Landgerichtsdirektor Dr.X., mit, daß von einem Unbekannten aus meiner Wohnung Elisabethstraße 76 nach meiner Verhaftung Sachen abgeholt worden sind. Diese Tatsache ist aktenmäßig festgestellt. Da dies aktenmäßig festgestellt worden ist, so muß doch, von der Polizei oder Staatsanwaltschaft
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