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Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Titel: Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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»Na, Sie hats ja ordentlich erwischt, Biberkopf. Keine Menkenke, halten Sie sich senkrecht. Das Paket bewahr ich schon auf.« »Was fürn Paket?« »Na, gehn Se man an de Luft.«
    Biberkopf ist draußen. Der Wirt sieht durch die Scheibe nach: »Ob sie den nicht gleich wiederbringen? Sachen sind das. Son kräftiger Mann. Die Dicke wird Augen machen.«

    Ein blasser kleiner Mann steht vor dem Haus, den rechten Arm trägt er in der Binde, die Hand im schwarzen Lederhandschuh. Er steht schon eine Stunde da in der Sonne und geht nicht nach oben. Er kommt eben aus dem Krankenhaus. Er hat zwei große Töchter, ein Junge ist nachgekommen, vier Jahre war er alt, der ist gestern im Krankenhaus gestorben. Erst war es bloß Halsentzündung. Der Doktor sagte, er will gleich wiederkommen, aber er ist erst abends gekommen und denn sagt er gleich: Krankenhaus, Diphtherieverdacht. Der Junge liegt vier Wochen da, er war schon ganz gut, da hat er noch Scharlach zugekriegt. Und nach zwei Tagen, gestern, ist er hin, Herzschwäche, hat der Oberarzt gesagt.
    Der Mann steht vor der Haustür, die Frau oben wird schreien und weinen wie gestern und die ganze Nacht und ihm vorwerfen, daß er den Jungen nicht rausgenommen hat vor drei Tagen, er war doch ganz gut. Aber die Krankenschwestern haben gesagt, er hat noch Bazillen im Hals, und wo Kinder zu Haus sind, ist so was gefährlich. Die Frau wollte es gleich nicht glauben, aber es ist doch möglich, daß was passiert wäre bei den andern Kindern. Er steht. Vor dem Nachbarhaus schreien sie. Plötzlich fällt ihm ein, daß man ihm im Krankenhaus gesagt hatte, als er das Kind hinbrachte, ob es schon eine Spritze gekriegt hätte mit Serum. Nein, es hätte noch keine gekriegt. Er hatte den ganzen Tag gewartet, daß der Doktor kam, erst abends, und dann hieß es: gleich weg.
    Und sofort setzt sich der Mann mit der Kriegslähmung in Trab, überquert den Damm, die Straße rauf bis zur Ecke, zum Arzt, der angeblich nicht zu Haus ist. Aber er brüllt, es ist Vormittag, der Doktor muß zu Hause sein. Die Tür des Sprechzimmers öffnet sich. Der kahlköpfige, fettleibige Herr sieht ihn an, zieht ihn zu sich hinein. Der Mann steht, erzählt vom Krankenhaus, das Kind ist tot, der Arzt drückt ihm die Hand.
    »Aber Sie haben uns warten lassen, den ganzen Mittwoch, vom Morgen bis sechs Uhr abends. Wir haben zweimal rübergeschickt. Sie sind nicht gekommen.« »Ich bin doch noch gekommen.« Wieder fängt der Mann zu brüllen an: »Ich bin ein Krüppel, wir haben im Feld geblutet, uns läßt man warten, mit uns kann man machen.« »Nun setzen Sie sich mal, beruhigen Sie sich doch. Das Kind ist ja gar nicht an Diphtherie gestorben. Im Krankenhaus kommen solche Ansteckungen vor.« »Unglück hin, Unglück her«, er brüllt weiter. »Uns läßt man warten, wir sind Kulis, unsere Kinder können verrecken, wie wir verreckt sind.«
    Nach einer halben Stunde geht er langsam die Treppe runter, dreht sich unten in der Sonne, geht nach oben. Die Frau hantiert in der Küche. »Na Paule?« »Na Mutter.« Sie geben sich die Hände und lassen die Köpfe sinken. »Hast noch nicht gegessen, Paule. Ich mach dir gleich.« »Ich war drüben beim Doktor, hab ihm gesagt, daß er nicht gekommen ist am Mittwoch. Ich habs ihm gegeben.« »Ist doch gar nicht an Diphtherie gestorben, unser Paulchen.« »Das macht nichts. Das habe ich ihm auch gesagt. Aber hätte er gleich eine Spritze gekriegt, brauchte er gar nicht ins Krankenhaus. Überhaupt nicht hin. Aber er ist ja nicht gekommen. Dem hab ichs gegeben. Man muß auch an andre Leute denken, wenn wieder so was vorkommt. So was passiert alle Tage, wer weiß.« »Na, nu eß mal was. Was hat denn der Doktor gesagt?« »Er ist ja ein guter Mann. Der Mann ist auch nicht der jüngste und hat zu tun und muß sich schuften. Weiß ich alleine. Aber wenn mal was passiert, passiert was. Mir hat er n Glas Kognak gegeben, und ich soll mich beruhigen. Und die Frau Doktor ist auch reingekommen.« »Du hast wohl sehr gebrüllt, Paule?« »Nee, gar nicht, nur im Anfang, nachher ist alles friedlich gegangen. Er hat selbst zugegeben: Sagen muß ihm einer das. Er ist kein schlechter Kerl, aber muß ihm einer sagen.«
    Er zittert heftig, während er ißt. Die Frau weint in der Nebenstube, dann trinken sie zusammen Kaffee am Herd. »Bohnenkaffee, Paule.« Er schnüffelt über seiner Tasse: »Man riechts.«

Morgen in das kühle Grab, nein,
wir werden uns zu beherrschen wissen
    Franz Biberkopf ist

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