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Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Titel: Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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und warf sich.
    Er schrie die ganze Nacht. Die Stimme rief ununterbrochen: »Gott und Satan, die Engel und die Menschen wollen dir helfen, du willst nicht.« Hiob ununterbrochen: »Nein, nein.« Er suchte die Stimme zu ersticken, sie steigerte sich, steigerte sich immer mehr, sie war ihm immer um einen Grad voraus. Die ganze Nacht. Gegen Morgen fiel Hiob auf das Gesicht.
    Stumm lag Hiob.
    An diesem Tag heilten seine ersten Geschwüre.

Und haben alle einerlei Odem, und der Mensch
hat nichts mehr denn das Vieh
    Viehmarkt Auftrieb: Schweine 11 543, Rinder 2016, Kälber 1920, Hammel 4450.
    Was tut aber dieser Mann mit dem niedlichen kleinen Kälbchen? Er führt es allein herein an einem Strick, das ist die Riesenhalle, in der die Stiere brüllen, jetzt führt er das Tierchen an eine Bank. Es stehen viele Bänke nebeneinander, neben jeder liegt eine Keule aus Holz. Er hebt das zarte Kälbchen auf mit beiden Armen, legt es hin auf die Bank, es läßt sich ruhig hinlegen. Von unten faßt er noch das Tier, greift mit der linken Hand ein Hinterbein, damit das Tier nicht strampeln kann. Dann hat er schon den Strick gefaßt, mit dem er das Tier hereingeführt hat, und bindet es fest an die Wand. Das Tier hält geduldig, es liegt jetzt hier, es weiß nicht, was geschieht, es liegt unbequem auf dem Holz, es stößt mit dem Kopf gegen einen Stab und weiß nicht, was das ist: das ist aber die Spitze der Keule, die an der Erde steht und mit der es jetzt bald einen Schlag erhalten wird. Das wird seine letzte Begegnung mit dieser Welt sein. Und wirklich, der Mann, der alte einfache Mann, der da ganz allein steht, ein sanfter Mann mit einer weichen Stimme – er spricht dem Tier zu – er nimmt den Kolben, hebt ihn wenig an, es ist nicht viel Kraft nötig für solch zartes Geschöpf, und legt den Schlag dem zarten Tier in den Nacken. Ganz ruhig, wie er das Tier hergeführt hat und gesagt hat: nun lieg still, legt er ihm den Schlag in den Nacken, ohne Zorn, ohne große Aufregung, auch ohne Wehmut, nein so ist es, du bist ein gutes Tier, du weißt ja, das muß so geschehen.
    Und das Kälbchen: prrr-rrrr, ganz ganz starr, steif, gestreckt sind die Beinchen. Die schwarzen samtenen Augen des Kälbchens sind plötzlich sehr groß, stehen still, sind weiß umrandet, jetzt drehen sie sich zur Seite. Der Mann kennt das schon, ja, so blicken die Tiere, aber wir haben heute noch viel zu tun, wir müssen weiter machen, und er sucht unter dem Kälbchen auf der Bank, sein Messer liegt da, mit dem Fuß schiebt er unten die Schale für das Blut zurecht. Dann ritsch, quer durch den Hals das Messer gezogen, durch die Kehle, alle Knorpel durch, die Luft entweicht, seitlich die Muskeln durch, der Kopf hat keinen Halt mehr, der Kopf klappt abwärts gegen die Bank. Das Blut spritzt, eine schwarzrote dicke Flüssigkeit mit Luftblasen. So, das wäre geschehen. Aber er schneidet ruhig und mit unveränderter friedlicher Miene tiefer, er sucht und tastet mit dem Messer in der Tiefe, stößt zwischen zwei Wirbeln durch, es ist ein sehr junges, weiches Gewebe. Dann läßt er die Hand von dem Tier, das Messer klappert auf der Bank. Er wäscht sich die Hände in einem Eimer und geht weg.
    Und nun liegt das Tier allein, jämmerlich auf der Seite, wie er es angebunden hat. In der Halle lärmt es überall lustig, man arbeitet, schleppt, ruft sich zu. Schrecklich hängt der Kopf abgeklappt am Fell herunter, zwischen den beiden Tischbeinen, überlaufen von Blut und Geifer. Dickblau ist die Zunge zwischen die Zähne geklemmt. Und furchtbar, furchtbar rasselt und röchelt noch das Tier auf der Bank. Der Kopf zittert am Fell. Der Körper auf der Bank wirft sich. Die Beine zucken, stoßen, kindlich dünne, knotige Beine. Aber die Augen sind ganz starr, blind. Es sind tote Augen. Das ist ein gestorbenes Tier.
    Der friedliche alte Mann steht an einem Pfeiler mit seinem kleinen schwarzen Notizbuch, blickt nach der Bank herüber und rechnet. Die Zeiten sind teuer, schlecht zu kalkulieren, schwer mit der Konkurrenz mitzukommen.

Franzens Fenster steht offen,
passieren auch spaßige Dinge in der Welt
    Die Sonne geht auf und unter, es kommen helle Tage, die Kinderwagen fahren auf der Straße, wir schreiben Februar 1928.
    In den Februar hinein säuft Franz Biberkopf in seinem Widerwillen gegen die Welt, in seinem Verdruß. Er versäuft, was er hat, ihm ist egal, was wird. Er wollte anständig sein, aber da sind Schufte und Strolche und Lumpen, darum will Franz Biberkopf nichts

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