Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
er wollte der doch nicht angst machen, war vielleicht alles Quatsch.
Cilly suchte plötzlich in einem Zorn nach Reinhold; vielleicht hatte der wieder dem Franz ein Weibsbild eingeredet, Franz ließ sie einfach sitzen. Die Bude von Reinhold war verschlossen, kein Mensch da, nicht mal die Trude.
Sie zog langsam wieder in die Kneipe, Prenzlauer Ecke, immer wieder in die Kneipe. Es schneite, aber der Schnee zerfloß. Am Alex riefen die Zeitungshändler den »Montag Morgen« aus, die »Welt am Montag«. Sie kaufte sich von einem fremden Händler ein Blatt, sah selbst hin. Ob wo was passiert wäre, ob er recht gehabt hat heut nachmittag. Na ja, ein Eisenbahnunglück in den Vereinigten Staaten, in Ohio, und Zusammenstoß von Kommunisten mit Hakenkreuzlern, nee, da macht Franz nicht mit, großes Schadenfeuer in Wilmersdorf. Wat soll ick damit. Sie schlenderte an dem strahlenden Haus von Tietz vorbei, ging über den Damm zur finsteren Prenzlauer Straße herüber. Sie ging ohne Schirm, war ganz eingeweicht. An der Prenzlauer Straße vor der kleinen Konditorei stand eine Gruppe Straßenmädchen unter Schirmen und versperrte die Passage. Dicht dahinter sprach sie ein Dicker ohne Hut an, der aus einem Hausflur trat. Sie ging rasch vorbei. Den nächsten nehme ich aber an, wat denkt denn der Junge. So wat Gemeines ist mir noch nicht vorgekommen.
Es war dreiviertel 10. Ein furchtbarer Sonntag. Um diese Zeit lag Franz schon in einer andern Stadtgegend auf dem Boden, den Kopf im Rinnstein, die Beine auf dem Trottoir.
Franz geht die Treppe runter. Eine Stufe, noch eine Stufe, noch eine Stufe, ne Stufe, Stufe, Stufe, vier Treppen, immer runter, runter, runter, noch runter. Dösig ist man, ganz verrammelt im Kopf. Kochste Suppe, Fräulein Stein, haste nen Löffel, Fräulein Stein – haste nen Löffel, Fräulein, kochste Suppe, Fräulein Stein. Nee, damit ist bei mir nichts zu machen, hab ich geschwitzt bei det Luder. Man muß mal an die Luft gehen. Treppengeländer, keene anständige Beleuchtung da, man kann sich ein Nagel einreißen.
Geht im 2. Stock die Türe auf, kommt ein Mann schwerfällig hinterher. Der muß aber ein Bauch haben, daß der so pustet, und noch dazu beim Runtersteigen. Unten steht Franz Biberkopf vor der Tür, die Luft ist grau und weich, wird bald schneien. Der Mann von der Treppe pustet neben ihm, ein kleiner, schwammiger Mann, mit einem aufgeblasenen weißen Gesicht; einen grünen Filzhut hat er auf. »Ist wohl knapp bei Ihnen auf der Brust, Herr Nachbar?« »Ja, das Fett. Und das viele Treppensteigen.« Sie gehen zusammen die Straße lang. Der Kurzatmige pustet: »Heute schon fünfmal vier Treppen gegangen. Rechnen Sie aus: zwanzich Treppen, jede durchschnittlich dreißich Stufen, Wendeltreppen sind kürzer, aber die gehen sich noch schwerer, also dreißich Stufen, fünf Treppen, hundertfuffzich Stufen. Die rauf. Und runter.« »Eigentlich dreihundert. Denn runter strengt Sie ooch an, hab ich gemerkt.« »Stimmt, runter ooch.« »Würde ich mir ein andern Beruf aussuchen.«
Es schneit schwere Flocken, sie drehen sich, es ist schön zu sehen. »Ja, ich geh auf Inserat, und das muß ich nu schon. Das gibt nicht Alltag und Sonntag. Sonntag sogar am meisten. Sonntag inserieren die meisten, da versprechen sie sich am meisten von.« »Ja, weil man da Zeit hat, Zeitung zu lesen. Versteh ich ohne Brille. Schlägt in mein Fach.« »Inserieren Sie ooch?« »Nee, ich verkaufe bloß Zeitungen. Jetzt will ich mal eine lesen gehen.« »Na, ich habe schon alle gelesen. Son Wetter. Habn Se schon mal so was gesehn.« »April, gestern war noch schön. Passen Sie auf, morgen ist wieder ganz blank. Wetten?« Der verpustet sich wieder, die Laternen brennen schon, er holt an einer Laterne ein kleines Notizbuch ohne Deckel heraus, hält es ganz weit von sich ab, liest drin. Franz meint: »Wird Ihnen naß werden.« Der hört nicht, steckt das Heft wieder ein, das Gespräch ist zu Ende, Franz denkt, ich verabschiede mir. Da sieht der Kleine ihn an unter seinem grünen Hut: »Sagen Sie, Herr Nachbar, wovon leben Sie eigentlich?« »Warum meinen Sie? Ich bin Zeitungshändler, freier Zeitungshändler.« »So. Und davon verdienen Sie Ihr Geld?« »Na, es geht.« Was will der bloß, ne putzige Kruke. »Ja. Sie, ich hab das ooch immer gewollt, so irgendwo frei mein Geld verdienen. Muß doch schön sein, man macht, was man will, und wenn man tüchtig ist, dann geht es.« »Manchmal ooch nicht. Aber Sie loofen doch genug, Herr Nachbar.
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