Berlin blutrot
Pendel hätte man sie nennen können. Ein rätselhafter Titel. Niemand war im Foyer. Auch die attraktive Frau mit dem Kopftuch und der Sonnenbrille war verschwunden. Ich verließ das Foyer des Hochhauses. Mit einer seltsamen Leichtigkeit im Herzen. Ich warf keinen Blick zurück auf Ströbele. Sie saß in einem Café. Sie nahm die Sonnenbrille von der Nase und schaute mir entgegen. Ihr Kopftuch hing über einer Stuhllehne. Ich näherte mich ihr bis auf ein paar Schritte. Sie lächelte und zwinkerte mir wie einem Komplizen mit dem linken Auge zu. Dann setzte sie sich die Sonnenbrille wieder auf. Ich überlegte, ob ich mich zu ihr setzen sollte. Sie war eine Freundin mit einem Geheimnis. Sonst hätte sie die Sonnenbrille nicht wieder aufgesetzt. Ich ging weiter. Geheimnisse musste man respektieren. „Trinken Sie doch einen Kaffee mit mir“, rief sie mir nach. Ich kehrte um und setzte mich neben sie. Es war sehr schön. Wir tranken gemeinsam eine Tasse Kaffee. Sie ein Schlückchen, ich ein Schlückchen. Ganz kleine. Damit die Tasse länger hielt. Wir sprachen kein Wort. Unsere Ellenbogen berührten sich ganz leicht. Sie hatte das letzte Schlückchen. Sie reichte mir die Hand zum Abschied. Sie hatte die Sonnenbrille abgesetzt. Ich verabschiedete mich mit einer Verbeugung. Ein Hauch von Kuss lag auf ihrem Handrücken. Wir schauten uns dabei in die Augen.
Ich ging.
Ich habe mich seitdem nie wieder alleine gefühlt. Mit einer Freundin fühlt man sich nicht alleine. Ich habe sie nie wieder gesehen. Aber ich weiß, dass es sie gibt. Das genügt mir. Nur sie. Keine andere. Ich bin mir ganz sicher. Mit Geräuschen habe ich übrigens keine Probleme mehr. Nach dem kurzen Rendezvous mit ihr wie weggeblasen. Ich bin ganz bei mir selbst. In das Penthouse bin ich nie wieder zurückgekehrt.
Verbrechen lohnt sich
Lena Blaudez
Es war vier Uhr morgens, als der Anruf kam. Eine Zeit, wie geschaffen für unangenehme Nachrichten, Einbrüche oder Verhaftungen. Mitten aus der Tiefschlafphase gerissen, fällt die Gegenwehr meist schlapp aus. Das ging Ada Simon durch den Kopf, nachdem sie vergeblich versucht hatte, das Klingeln in ihren Traum einzubauen. Aber wie auch, wenn man durch die Sahara unterwegs ist? Und das zu Fuß.
Ada Simon quälte sich so weit aus dem Bett hoch, dass sie den Telefonhörer erreichen konnte.
Es war Pia Freitag.
Ihre neueste Klientin.
„Es ist soweit. In 30 Minuten, also um 4.30 Uhr. Sophie-Charlotte- Straße, ganz am Ende, am Eingang zum Schlosspark.“
Aufgelegt, ohne eine Antwort abzuwarten.
Die Stimme klang hinreichend dringlich, um Ada schlagartig hellwach und konzentriert werden zu lassen.
Sie stieg aus dem Bett, stellte die Kaffeemaschine an, sprang schnell unter die Dusche und stieg in ihre schwarzen Jeans, streifte das schwarze T-Shirt über den Kopf und fuhr sich kurz mit der Bürste durch ihre rotbraunen Haare, die sie sich allmorgendlich mit ihrem Lieblingsstab hoch steckte. Es war ein traditioneller Messingstab der Tuareg, in Echsenhaut eingenäht und mit einem Kamelbeingriff versehen, den sie vor Jahren im Niger erstanden hatte. Wie immer trug sie dazu einen antiken Eisenarmreif, den sie von einem Turkana - Viehzüchter aus dem nördlichen Kenia bekommen hatte. Ada liebte ihren Schmuck. Beruhigender Schmuck. Fast jeder hat schließlich seinen Talisman. Und sie konnte in ihrem Job gut Unterstützung gebrauchen.
Glücksbringer, Schutzheilige, alle guten Geister, Vodougötter oder wer sich auch immer zuständig fühlen möchte: herzlich willkommen!! Ada zog sich die Lippen mit einem dunkelroten Lippenstift nach und dann eine Grimasse im Spiegelbild. Sie war Gefahren gewohnt, aber weit davon entfernt, sie zu mögen.
Schwungvoll öffnete Ada die Haustür. Es war einer dieser Sommermorgen, die endlos blauen Himmel versprechen, wie frisch gewaschen und gebügelt. Heute erschien er ihr wie eine gemeine Täuschung: Wetter gut, alles gut. Auch du kannst auf der Sonnenseite leben. Nix da.
Es war kurz vor Sonnenaufgang. Ein paar späte oder frühe Zecher erklärten sich gegenseitig lautstark die Lage der Welt. Die war nicht rosig. Der immer aufmerksame Türsteher der Table-Dance-Bar an der Ecke entsorgte gerade einen aufmüpfigen Gast. Der eine oder andere Händler stapelte schon Kartons, die gerade vom Lastwagen gefallen waren, um später den Bürgersteig mit Billigwaren zu verstellen. Vom Holzkohlegrill des Rossia wehte ein würziger Geruch herüber, und eine Dame mit Pelzstola erstand in dem rund
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