Berlin - ein Heimatbuch
Jutesack.
» Willste ooch eene? «
»Nein, danke. Und spar dir bloß diesen nachgemachten Slang.«
Als ich nach ewiger Suche – denn bei einer Verkäuferin nachzufragen, hätte ich als in dieser Hinsicht typischer Mann peinlich gefunden – endlich das passende Haarwachs gefunden und bezahlt habe, stelle ich fest, dass mein Begleiter verschwunden ist. Nun gut, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lungert er in der Buchabteilung herum. In der Tat finde ich ihn mit seinem Jutebeutel in der linken und einem Druckerzeugnis in der rechten Hand an einem Stand für Berlinbücher. Bei dem Anblick geht mir erstmals die Bedeutung des Begriffes »fremdschämen« auf. Dass ich von hinten auf seine Schulter klopfe, verschafft ihm fast einen vorzeitigen Exitus durch Herzinfarkt.
»Meister, wollen wir gehen? Die schließen hier eh gleich.«
»Warte mal noch einen Moment. Ich hab hier endlich einen Reiseführer mit Mini-Sprachkurs gefunden.«
»Was denn für ein Sprachkurs?«
»Na: ›Berlinern für Anfänger‹!«
Oh heilige Impertinenz. Ich halte meinen Mund und hoffe, dass sich das Thema stillschweigend von selbst erledigt. Tut es aber nicht.
»Hier zum Beispiel«, nuschelt er, » Nachtijall, ick hör dir trapsen : Herrlich, oder?«
Ich enthalte mich weiter jeden Kommentars. Und hoffe, mein Schweigen erstickt seinen deplatzierten Lokalpatriotismus. Weit gefehlt.
»Oder hier: Nu brat ma eener ’n Storch – aba die Beene recht knusprich! « Er beölt sich vor Lachen derartig, dass ihm die Tasche aus der Hand rutscht und einige der Stullen auf den Boden fallen. Wie immer in solchen Fällen mit der Butterseite nach unten.
» Die Beene recht knusprich ... Ha ha ... « Erstickungsanfälle.
Andere Bücherwürmer drehen sich nach uns um. Fragende und verständnislose Blicke.
Jetzt quatscht er die Umstehenden auch noch direkt mit Sprüchen aus dem Reiseführer an » Keen Haar uff’m Kopp, aba ’n Kamm inne Tasche ... dit is jut, wa? «
Ich wünschte, der Boden würde sich auftun und mich verschlucken. Ich überlege ernsthaft, einen auf unheilbare Fälle spezialisierten Arzt zu rufen. Stattdessen sammele ich die havarierten Stullen auf und versuche mich als zufälliger Passant zu gerieren, der mit dem armen Irren und seinem Berlinwahn nichts zu tun hat.
Wenn es ein Thema gibt, mit dem du dich als Zugereister oder Touri in Berlin richtig krass und bis auf die Knochen blamieren kannst, dann ist es das Berlinern. Also, liebe Leser: Bitte nicht nachmachen!
Berliner Dialekt und Grammatik
Die Mundart im Großraum Berlin-Brandenburg, wegen des eher derben Berliner Humors oft auch Berliner Schnauze genannt, ist sprachwissenschaftlich gesehen kein Dialekt, sondern ein Metrolekt : eine in großstädtischen Zentren aus einer Mischung vieler unterschiedlicher Mundarten entstehende Stadtsprache, vergleichbar mit Kölsch. Durch Zuwanderungen veränderte sich das in Berlin ursprünglich gesprochene Ostniederdeutsch, geprägt wurde es dabei durch zahlreiche Einflüsse, etwa sächsische, schlesische, flämische, französische, hebräische, jiddische und slawische. Da Berlin in der jetzigen Form erst 1920 entstand, gilt als Kerngebiet des Berlinischen die Fläche der heutigen Bezirke Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg, dazu Gebiete von Charlottenburg und Prenzlauer Berg. Die Sprache in Berlin wird bis heute von Zuwandererwellen geprägt und bleibt daher unbeständig.
Hier ein paar Grundregeln
Als mitteldeutscher Dialekt an der Grenze zum Niederdeutschen behält das Berlinische die niederdeutschen Formen, zum Beispiel det und dit für »das« oder »dies«, wat für »was« oder Appel für »Apfel«. Im Akkusativ nutzt der Berliner sowohl für »mir« als auch für »mich« den Universalausdruck mir oder ma (» Der Balina sacht imma mir, ooch wenn et richtich is. «).
Die lokale Lautung hat ebenfalls viele Besonderheiten: etwa den Ersatz von g durch j.
Die meisten Diphthonge werden zu langem Monophthong: au zu oo, ei zu ee (daran kann man Altberliner und Neuberliner unterscheiden!).
Beim »Berliner Er« wird die dritte Person Singular als Anrede genutzt: » Hat er denn ooch ’n jült’jen Faahohsweis? « oder » Hat se denn die fünf Euro nich’n bisken kleena? «
Unverwechselbar ist auch die Anrede in der ersten Person Plural (Pluralis benevolentiae oder »Krankenschwestern-Plural«): » Na, ham wa nu det richt’je Jesöff jewählt? « oder » Da warn wa wohl’n bisken fix, wa? «
Die Redensart »bis in die
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