Berlin Fidschitown (German Edition)
erinnerte ihn an eine altersschwache Reismühle. Er hatte keine Ahnung, wo die Schmerzgrenze lag. Soviel er wusste, gab es eine Höchstgeschwindigkeit für den Betrieb der Ketten. Noch war er nicht in Gefahr, das Limit zu überschreiten, denn es ging nur im Schneckentempo vorwärts. Natürlich lag der große Wagen mit dieser Ausrüstung absolut stabil. Aber trotz dieser trügerischen Sicherheit ahnte er: Sobald es aufklarte und alle vor ihm Gas gaben, standen Probleme an. Mit Sommerreifen wäre er besser drangewesen.
Die amphibische Fahrtechnik im überschwemmten Bangkok, das Schwimmen und Gleiten durch die vom Dauerregen in Kanäle verwandelten Straßen, kam den winterlichen Bedingungen hier sehr nahe. Aber das war im Mai, wenn der Südwestmonsun schwere Regenwolken über Krung Thep drückte, wenn anfänglichen Schauern Gewitter folgten, die sich bis September zu sturmgepeitschten Wassermassen verdichten konnten, die ohne Unterbrechung aus einem bleigrauen Himmel prasselten.
Hier und jetzt war es Dezember, der Himmel zwar ebenfalls grau, aber es rieselte und flockte und blieb wie geraspelter Kokos auf der Erde liegen. Weiß und schmutzig grau. Wenn in der Heimat die Fluten gegen das Bodenblech klatschten, musste man mit Gefühl im Arsch fahren, driften, langfristig ausweichen, behutsam bremsen – wie ein Bootsführer. Das wäre auch im hiesigen Winter das Richtige gewesen, aber er saß im Moment eher auf einem Traktor oder einer Zahnradbahn, wie das Rasseln und Pochen ihm in Erinnerung rief.
Wenn er den Stadtplan noch richtig im Kopf hatte, fuhr er auf der ehemaligen Leninallee stadteinwärts. Der Straßenname aus DDR-Zeiten hatte klein gedruckt und in Klammern hinter dem jetzt gültigen gestanden, und er konnte ihn sich leichter merken als Landes ... oder Landsberg ... oder wie die Allee nach dem Mauerfall hieß. Die nächstgrößere Querstraße musste demnach die ehemalige Ho-Chi-Minh-Straße sein. Das war, in Anbetracht seiner Mission, besonders leicht zu behalten.
Voraus schimmerte, wie im Rhythmus eines Pulsschlags, ein gelblicher Fleck durch den Schneevorhang. Für einen Augenblick hoffte Farang auf die Sonne. Zwar war ihm die kalte Heimat seines Vaters mit ihren Regentiefs nicht fremd – aber ein so brutales Schneegestöber hatte er noch nie erlebt. Deshalb kam ihm der Gedanke, die Sonne könne plötzlich, wie nach einem Wolkenbruch, wieder auftauchen, nicht ganz abwegig vor.
Erneut schlitterte der Opel bedrohlich nahe auf den Bordstein zu, bekam die Sporen und orientierte sich wieder zur Fahrbahnmitte. Das Gelb wurde ein wenig kräftiger. Es konzentrierte sich auf einen ganz bestimmten Punkt, der allmählich als Straßenkreuzung auszumachen war. Die Ampelanlage arbeitete im Notprogramm. Anstatt den spärlichen Verkehr zu regeln, blinkte sie nur noch resigniert gegen die Wetterverhältnisse an.
Der Opel hatte die Kreuzung so gut wie erreicht, als sich von rechts ein lang gezogenes grünes Rechteck auf die Kreuzung schob. Alles lief wie in Zeitlupe ab. Spedition Oswald konnte er lesen, während der Lastzug die Kreuzung überquerte und den Opel zu einer Vollbremsung zwang, die ihn endgültig von der Fahrbahn und in eine Schneewehe schleuderte.
Im Rückspiegel sah er, wie Romy Asbach ausstieg und sichtlich wütend gegen einen der Hinterreifen trat. Stoisch behielt er Geschwindigkeit und Kurs bei. Sein Mitleid hielt sich in Grenzen. Pech für die Lady. Glück für ihn. Entscheidung am Ho-Chi-Minh-Pfad. Irgendwo da vorne im grauweißen Chaos fuhr die Limousine mit Gustav Torn. Nichts anderes war wichtig. Behutsam erhöhte er die Geschwindigkeit. Als auch Minuten später noch keine Heckleuchten vor ihm auftauchten, entschloss er sich, ohne Rücksicht auf Schneeketten und Radkästen, zu vollem Risiko. Er umfasste das Steuer fester und gab richtig Gas.
Noch nie war er von seinem eigenen Heck überholt worden. Es war eine ganz neue Erfahrung. Die Hinterachse drückte ihn einfach zur Seite und schob sich mit dem Kofferraum an die Spitze. Und als der Mercedes nach kurzer Kür in die Telefonzelle krachte und zum Stillstand kam, herrschte endlich Ruhe in den Radkästen und Farang hatte freien Blick zurück auf seine eigene Reifenspur, die sich im Schnee verlor. Es hatte ihn oft genervt, die Deutschen nur vom Wetter schwafeln zu hören. Sie hatten stets große Probleme mit dem Wetter, waren wie besessen von dem Thema. Jetzt, in diesem besinnlichen Augenblick, angegurtet in seinem geliehenen Mercedes, dessen
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