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Berlin Fidschitown (German Edition)

Berlin Fidschitown (German Edition)

Titel: Berlin Fidschitown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D B Blettenberg
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hinbekamen, hörte er die Nachzügler, die auf der kurvenreichen Strecke nicht mit ihm Schritt halten konnten. Über eine seitliche Treppe stieg er bis zur unteren Plattform der beiden Brüstungsebenen, die anscheinend Teil des alten Hochbunkers waren. Beide Ebenen waren renoviert und mit hohen Metallgittern versehen. Auf der unteren Plattform, mitten zwischen den beiden Turmaufbauten, die sich dunkel vom sternenklaren Nachthimmel abhoben, sah er eine Bronzetafel an der Wand. Die äußere Form der Tafel entsprach der Kontur des Bauwerks. Er trat näher und las:
    BUNKERANLAGEN IM VOLKSPARK HUMBOLDTHAIN.
    1869–1876 ANLAGE DES HUMBOLDTHAIN DURCH
    DIE FIRMA L.SPÄTH NACH ENTWÜRFEN
    DES ERSTEN GARTENDIREKTORS VON BERLIN, GUSTAV MEYER.
    1941–1942 ERRICHTUNG EINES HOCHBUNKERS MIT VIER FLAKTÜRMEN ...
    Was waren Flaktürme?
    Was eine Flagge war, wusste er, eine Flagge war eine Fahne – aber Flak?
    Er las weiter.
    ... ENTLANG DER HEUTIGEN S-BAHNTRASSE
    SOWIE EINES TIEFBUNKERS NEBEN DER
    GUSTAV-MEYER-ALLEE DURCH ITALIENISCHE
    UND TLW. FRANZÖSISCHE FREMDARBEITER.
    ES ENTSTANDEN SCHUTZRÄUME
    FÜR CA. 15.000 PERSONEN.
    1945 LETZTE GROSSE ZERSTÖRUNG DES BUNKERUMFELDES
    DURCH SINNLOSE VERTEIDIGUNG
    DES BUNKERS BIS IN DIE LETZTEN KRIEGSTAGE
    IM MAI, DIE VIELE OPFER FORDERTE ...
    Er hielt inne. Was war das?
    Ihm war, als höre er etwas, direkt hinter der Gedenktafel im Inneren des Betonklotzes. Ein Scheppern von Metall, und dann ein Quietschen. Eine Türangel womöglich. Aber das war wohl Einbildung.
    Er lauschte noch einmal.
    Nichts.
    Er konzentrierte sich wieder auf die Informationstafel.
    1948 VERSUCH, DEN HOCHBUNKER ZU
    SPRENGEN, WOBEI LEDIGLICH DIE BEIDEN
    SÜDL. FLAKTÜRME ENTFERNT WURDEN.
    1948–1951 ANSCHÜTTUNG DER BEIDEN
    BUNKERRUINEN MIT 1,6 MILL. CBM TRÜMMER-UND
    INDUSTRIESCHUTT. NEUANLAGE DES PARKS
    IN VERÄNDERTER FORM DURCH WEDDINGER
    NOTSTANDSARBEITERINNEN UND –ARBEITER
    NACH PLÄNEN DES GARTENBAUAMTSLEITERS
    GÜNTHER RIECK. ES ENTSTEHT IN VERBINDUNG
    MIT DEM ANGESCHÜTTETEN HOCHBUNKER
    DIE 38M HOHE HUMBOLDTHÖHE (85M ÜBER NN)
    UND DEM EBENFALLS ANGESCHÜTTETEN
    TIEFBUNKER EINE CA. 20M HOHE
    UND 200M LANGE RODELBAHN.
    1982 NEUPLANUNG UND INSTANDSETZUNG
    DER HUMBOLDTHÖHE UND
    BAU EINER AUSSICHTSTERRASSE.
    1988–1990 AUSBAU DES EHEMALIGEN
    HOCHBUNKERS UND DER BEIDEN
    FLAKTÜRME ZUR AUSSICHTSPLATTFORM.
    BEZIRKSAMT WEDDING VON BERLIN.
    ABTEILUNG
    BAU- UND WOHNUNGSWESEN – GARTENAMT.
    BERLIN, FEBRUAR 1990.
    Er atmete tief durch.
    Alles war ordentlich registriert und aufgeschrieben. Seine deutschen Halbschwestern und -brüder erstaunten ihn immer wieder. Er versuchte, sich ein solches Hinweisschild am Wat Arun vorzustellen. Die Deutschen hätten alle Scherben am Tempel der Morgendämmerung fein säuberlich gezählt, sie nach Farbe, Muster und Herkunft aufgelistet und exakt zusammengerechnet, wie viele Tonnen Porzellan dafür zertrümmert worden waren – natürlich sortiert nach Tassen, Tellern, Vasen und was sonst zu Bruch gehen konnte.
    Sein Blick fiel auf eine Zigarettenkippe, die nicht weit entfernt im Schnee lag. Sie glomm noch. Er hob den Tabakstummel auf und sah sich um. Niemand. Er betrachtete die Kippe. Sie war noch lippenfeucht. Er schnupperte strengen Tabak, ging zur Wand und legte das Ohr an den kalten Beton.
    Nichts.
    Er ging die Wand ab. Kein Eingang, kein Loch, kein Spalt. Schließlich warf er die Kippe über die Brüstung und nahm die letzten Stufen zur oberen Plattform. Gemäuer und Metall waren mit Graffiti beschmiert.
    Der Rundblick über die nächtliche Großstadt wurde durch die hohen Gitterstäbe behindert. Trotzdem war die Aussicht faszinierend, und für einen Augenblick wünschte er sich die anderen weit weg, um in Ruhe alles auf sich wirken zu lassen. Aber ihr Lachen und ihre fröhlichen Gesänge kamen näher und näher – und dann waren sie da, schnaufend und prustend, mit Johlen und Kichern. Heli kam sofort zu ihm, während die anderen einige fest im Boden verankerte Tische und Stühle ansteuerten und Vorbereitungen für das Feuerwerk trafen. Der Picknickplatz lag unter kahlen Platanen, die zwischen den Aussichtsplateaus wuchsen.
    „Der hier, auf dem wir stehen, ist der östliche der beiden noch erhaltenen nördlichen Flaktürme“, referierte Heli in Sektlaune.
    „Was heißt Flak?“
    „Fliegerabwehrkanone.“ Heli ging zur Brüstung und wischte den Schnee von einer der schrägen Informationstafeln, die in alle Richtungen Auskunft über die jeweiligen Blickfänger

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