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Berlin Fidschitown (German Edition)

Berlin Fidschitown (German Edition)

Titel: Berlin Fidschitown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D B Blettenberg
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begonnen.“
    Er lächelte ihr abwesend zu, legte die Faltkarte von Saigon wieder zusammen und steckte sie ein, während er die Wandkarte Berlins anstarrte und – als müsse er einen wichtigen Gedanken zuende bringen – murmelte: „Die Spree entspricht dem Saigon-Fluss.“
    Dann wandte er sich Heli zu, lächelte erst sie und dann Romy charmant an und sagte aufmunternd: „Darf ich dir eine gute Freundin vorstellen?“

62
    Da kamen sie.
    Begleitet vom Wummern der Techno-Musik, das aus dem Zivilschutzbunker zu ihm herüberklang, zogen sie ihm langsam entgegen. Es war nicht mehr als ein Dutzend, das sich bei dieser Kälte ins Freie traute. Sie hielten Flaschen und Gläser in Händen und rutschten und stolperten über die Fußgängerbrücke, die über die S-Bahntrasse führte. Ob es alle bis auf den Hügel schafften? Der Alkohol mochte gegen den Frost helfen, aber er nahm einem die Luft.
    Der Captain schaute durch sein Nachtglas, um die Ameisen etwas größer zu machen und sie sich genauer anzusehen. Sie trugen Plastikbeutel mit Feuerwerkskörpern bei sich. Es erinnerte ihn an die alte Gewohnheit zum heimischen Neujahr in Hanoi, Knallfroschlärm vom Tonband abzuspielen, einen Brauch, den er und seine Leute in harten Zeiten in den Tunneln von Cu Chi fortgeführt hatten, während der Feind nur wenige Kilometer entfernt im Himmel über Saigon bunte Brände entzündete. Ob Napalm oder ein friedliches Feuerwerk, es hatte den Fremden und ihren südvietnamesischen Lakaien an nichts gemangelt – außer an Siegeswillen. Er erinnerte sich an sein Zuhause und den Familienältesten, der das Horoskop vorlas. Alles was am Neujahrstag passierte, war ein Omen. Das erste Geräusch, das zu hören war, hatte entscheidende Bedeutung. Aber all das würde den Deutschen da unten nicht viel sagen. So vermummt, wie sie waren, konnte er Frauen und Männer kaum unterscheiden – und doch hatte er den Eindruck, dass einer der Männer die Gesichtszüge eines Con Lai hatte. Und wenn schon – asiatische Mischlinge waren nichts Besonderes in einer so großen Stadt wie dieser.
    Er setzte das Fernglas ab und sog die kalte Luft ein, als müsse er einen Vorrat davon in eine andere Welt mitnehmen. Er warf einen Blick auf sein altes Kommandirski-Chronometer. Es war Zeit, wieder abzutauchen. Sollten die Ameisen sich austoben und ihren Spaß haben. Er hatte nicht vor, sie dabei zu stören. Für ihn und seine Landsleute war es noch nicht so weit. Bis zum Tet-Fest gingen noch einige Wochen ins Land – und, wie schon früher in der leidvollen Geschichte seiner Heimat, würde es wenig festlich ausfallen und im Zeichen des Krieges stehen. Obwohl, wenn er es genau überdachte, ein Sieg war auch ein Fest – und er hatte vor zu siegen. Wenn es so weit war. Heute wartete noch ein warmes Nachtmahl auf ihn. Bun Bo, extra scharf gepfeffertes Rindfleisch mit Reisnudeln. Er schmatzte genüsslich und warf einen erneuten Blick auf die Gruppe, die nur noch langsam vorankam, als mache sie vorzeitig schlapp. Es blieb doch noch Zeit für eine letzte Zigarette an der frischen Luft. Er zündete sich eine 555 an und inhalierte tief.
    Er rauchte und hörte das entfernte Lachen und Grölen der Deutschen. Sie hatten ihren Spaß – als zögen sie zum Lac Son, dem Berg der Freude.

63
    Die angetrunkene Gruppe wanderte gemächlich über die weit ausholenden Serpentinen des Gehwegs auf die Anhöhe, aber Farang hatte es der steile Treppenweg angetan, der direkt nach oben führte.
    Er erinnerte ihn an den Aufstieg zum Wat Arun, auch wenn das hier nicht der Tempel der Morgendämmerung war, sondern ein schneebedeckter Erdhügel nahe zum Polarkreis, auf dem es wahrscheinlicher war, einem Eisbären zu begegnen, als einen buddhistischen Mönch zu treffen. Romy und Georgia Brand winkten ihm ihr Beileid nach, und selbst Heli ließ ihn ziehen, als ahne sie die fast religiöse Bedeutung seines Alleingangs.
    Die Kanten der einzelnen Stufen waren mit Holzbalken verstärkt, die dick vereist waren. Auch das Geländer, an dem er sich festklammerte, war aus dunklen Holzbalken. Auf halber Strecke hielt er kurz inne und warf einen Blick auf den Park. Die weiße Schneedecke reflektierte das helle Licht der Großstadt und machte die Nacht durchsichtig. Tief unter ihm lag etwas wie ein kleiner Park im Park, wie ein winziger Schlossgarten ohne Schloss, dessen immergrüne Hecken zu streng geometrischen Formen beschnitten waren. Noch während er sich fragte, wie die Gärtner die Kugeln so makellos rund

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