Berlin Gothic 3: Xavers Ende
ein paar gute Bilder für ihr Berlin-Buch bekommen!
Ihr Kollege ist längst außer Sichtweite, als Claire ebenfalls die Glastür des Seiteneingangs aufstößt. Dahinter liegt eine niedrige Eingangshalle. Links von ihr drängen sich die Menschen am Haupteingang - Stimmen, Rufe, der Lärm von Schritten, das Klappen von Türen erfüllen die Luft.
„Sie dürfen hier nicht rein!“ Ein Schutzpolizist eilt durch die Halle auf sie zu. „Hallo?“
Claire ist mit zwei Schritten an der Tür zum Treppenhaus, reißt sie auf - hört sich selbst keuchen, als sie die Stufen emporspringt.
„BLEIBEN SIE STEHEN!“
Der Beamte ist wenige Schritte hinter ihr in das Treppenhaus gestürmt.
Claire hetzt nach oben. Die Treppe scheint bis unters Dach voller Menschen zu sein. Mieter aus den oberen Stockwerken kommen ihr entgegen, ein Mann noch im Morgenrock, die Augen glasig, neben ihm seine Frau mit ungewaschenen Haaren. Ein Rentner mit kleinem Hut, zwei Frauen in arabischen Gewändern. Claire drängt sich zwischen den Menschen hindurch nach oben.
Die Rufe des Beamten hinter ihr gehen im Stimmengewirr langsam unter. Dritter Stock, vierter … Claire ringt nach Luft. Ein Jugendlicher mit einem Kind an der Hand rempelt sie an, poltert die Treppe hinab. Claire schwingt die Fototasche über die andere Schulter, setzt ihren Aufstieg fort.
Im achten Stock tritt sie durch die Treppenhaustür auf den Wohnungsflur. Vor dem Fahrstuhl drängen sich Mieter. Keine Chance, ihn benutzen zu können. Claires Seite glüht. Sie zückt ihr Handy. Soll sie versuchen, den Kollegen zu erreichen?
„RÄUMEN SIE DEN GEHWEG FREI … “, dringt gedämpft die Lautsprecheransage durch die dünnen Wände des Plattenhochhauses.
Claire kämpft sich die Treppe weiter nach oben. Fünfzehnter Stock … sechzehnter … siebzehnter. Den Aufstieg zum achtzehnten versperrt ein weiteres Flatterband der Polizei. Wieder durchschlüpfen?
Claire reißt die Tür auf, die aus dem Treppenhaus auf den Flur hinausführt. Wenn man sie oben abfängt, hat sie nichts gewonnen.
Ihr Blick fällt auf drei junge Frauen, die am gegenüberliegenden Fenster stehen. Sie sind in einem auffälligen Party-Outfit gekleidet, obwohl es noch früh am Morgen ist: Haare hochgesteckt, Arme frei, enges Kleid, High Heels. Eine trägt Netzstrümpfe, deren Strumpfband durch den Rockschlitz hervorblitzt, wenn sie sich bewegt.
Eine Wohnungstür fliegt auf, eine Familie mit zwei Kindern kommt heraus. Claire zieht den Sucher ihrer Kamera vors Auge - im Sichtfenster sehen die drei Frauen am Fenster noch exotischer aus. Die Augen derjenigen mit dem Strumpfband treffen Claires Objektiv, ihre Haut glitzert, als ob sie mit Goldstaub besprüht worden wäre. Claire drückt den Auslöser, macht einen Schritt zur Seite - der Blick der Frau folgt ihr.
Der Kontrast zum schäbigen Hausflur! Claire stellt die Kamera hochkant, die schwarzen Haare der Frau glänzen, ihr enger Rock bedeckt die Schenkel nur zur Hälfte. Sie wendet sich Claire zu, der Schlitz an der Seite zieht sich noch weiter auf.
„Hey - what are you doing!“
Sie sieht aus wie eine indische Prinzessin! Claire duckt sich ein wenig - die Frau kommt auf sie zu - die hohen Absätze steigern ihren wiegenden Gang fast ins Absurde …
Klick.
Die geschminkten Augen, volle Lippen, der Zorn im Blick -
Claire nimmt die Kamera herunter. „What?“
„No photo!“
Die kleine Hand der Indien-Prinzessin streckt sich Claire entgegen, die Fingernägel leuchten silbern und lang. Claire riecht die durchwachte Nacht, den Rausch, die Verführung -
und schreckt im nächsten Augenblick zusammen, denn hinter ihr knallt es.
Sie wirbelt herum.
Die Tür zum Treppenhaus, vor der sie gestanden hat, ist aufgeflogen. Zwei weitere Frauen stürzen heraus. Eine blond wie Barbarella, die andere in etwas gepresst, das aussieht wie ein Hautanzug aus Aluminiumpapier. Mit einer raschen Bewegung klappt Claire das Display ihrer Kamera heraus und dreht es so, dass sie das Gerät auf Hüfthöhe halten und gleichzeitig die Aufnahmen auf dem kleinen Bildschirm überprüfen kann. Die Mädchen beachten sie garnicht. Sie rufen ihren Freundinnen, die noch am Fenster stehen, etwas auf Französisch zu.
Im gleichen Moment sieht Claire auf ihrem Kameradisplay eine weitere Frau durch die Tür kommen - und spürt den Kloß, der sich in ihrem Hals bildet …
Klick - klickklick -
Eine Japanerin, geht es Claire unwillkürlich durch den Kopf …
Schon drängt sich eins der Mädchen an
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