Berlin Gothic 3: Xavers Ende
durfte nur nicht die Ruhe verlieren.
Till setzte sich in Trab, bog die Ecke. Wenige Meter dahinter mündete der Gang in einer Auffahrt, die groß genug war, um mit einem Sattelschlepper darauf entlangzufahren. Rechter Hand führte die Auffahrt in einem leichten Gefälle tiefer hinein in den Krankenhausbau, linker Hand stieg sie ein wenig an.
Till wandte sich nach links, folgte dem Bogen der Auffahrt - und stieß kurz darauf auf eine gewaltige Stahljalousie, die die gesamte Auffahrt versperrte.
Wütend trat er gegen den Metallvorhang. Eine Welle ging durch die Lamellen und es schepperte. Keine Stange, kein Henkel, keine Elektrik, mit der er die Jalousie nach oben hätte fahren können.
Till beugte sich vor und presste die Lippen an die winzigen Löcher zwischen den einzelnen Lamellen. „HAAALLO!!“
Hmmmmmmmmm ….
Nur das dumpfe Brummen, das hinter ihm die Auffahrt empordrang.
Sein Blick fiel auf die Fahrtrasse, die vor der Jalousie endete. Durch die millimeterfeinen Löcher der Stahllamellen hindurch drang etwas Licht in die Auffahrt und erhellte die Fahrbahn. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie vollkommen unverschmutzt war. Heller, beinahe reiner Beton - ohne Reifenspuren, Ölflecken oder Schmutz.
Er ging in die Hocke und strich mit dem Finger über den Untergrund. Ein wenig staubig, aber sonst wie unberührt. War er in einen Bereich des Riesenbaus geraten, der nie in Betrieb genommen worden war?
Till richtete sich wieder auf und blickte die dunkler werdende Auffahrt hinab, die sich wie ein Schlund in den Untergrund des Gebäudes bohrte.
3
Der Bereich wirkte wie eine unterirdische Bestrahlungsabteilung. An den Wänden befanden sich zahllose Anschlüsse, in den Fluren stand ausrangiertes Krankenhausmobiliar, darauf lagerten halb verrostete Geräte und braun angelaufene Packungen mit Verbandsmaterial.
Till war die Auffahrt heruntergeschritten und auf Räume gestoßen, die nur durch schmale Lichtschächte erhellt wurden. Treppen führten in die Tiefe, Flure schienen einzelne Gebäudestrukturen miteinander zu verbinden, schiefe Ebenen waren offenbar für Rollstuhlfahrer angelegt worden. Es gab Zementgewölbe, in denen ganze Kompanien hätten gesundgepflegt werden können und meterdicke Sicherheitsschleusen, die Till auch mit größter Kraftanstrengung nicht bewegen konnte. Sogar eine Art Kontrollraum war dort unten eingerichtet, in dem sich jedoch nur noch die rudimentärsten Anzeigen befanden.
Vage erinnerte sich Till an Erzählungen, dass in West-Berlin zu Mauer-Zeiten Einrichtungen aufgebaut worden waren, die die Bevölkerung im Falle einer erneuten Sowjet-Blockade hätten schützen sollen. Er hatte von gigantischen Magazinen gehört, in denen Dosen und Decken für Hunderttausende eingelagert gewesen wären, von unterirdischen Benzin- und Gasreservoirs, mit denen die Millionenstadt auch dann noch wochenlang hätte überleben können, wenn die Russen sie erneut vom Nachschub aus Westdeutschland abgeschnitten hätten. Fast hatte Till den Eindruck, sich in einer Art Kreuzung aus Krankenstation und Luftschutzbunker verirrt zu haben, die auch dann noch funktioniert hätte, wenn die Atombombe genau über dem Kurfürstendamm abgeworfen worden wäre.
Doch je tiefer er in die Fundamente des Krankenhausbaus vordrang, desto langsamer wurde er. Hatten die ersten Betonräume noch gewirkt wie aus einem Science-Fiction-Film der siebziger Jahre, schienen die Schriften, die er jetzt an der Wand sah, eher aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zu stammen. Da waren Pfeile, die zur Röntgenstation wiesen, zum Tanklager, zum Magazin. Es wurden die Ebenen D, F und G ausgewiesen und der Beton war längst nicht mehr hellgrau, sondern anthrazit, grünstichig und schmutzig. Auch war der Boden nicht mehr nur staubig, sondern klamm, und was sich unter den schwarzen, krümeligen Häufchen verbarg, die in den Ecken lagen, traute sich Till gar nicht erst zu untersuchen.
Schließlich blieb er ganz stehen. Täuschte er sich oder hatte sich das unterschwellige Brummen, das ihm schon vorhin aufgefallen war, zu einem brausenden Rauschen, einem gewaltigen Dröhnen gesteigert? Ein gleichförmiges Geräusch, als würde sich acht Stockwerke unter ihm ein Autobahntunnel befinden, durch den Hunderte von LKWs auf ihren jeweils sechsunddreißig Achsen rasten - während das Gebrüll ihrer achtzehnzylindrigen Motoren auf der Suche nach einem Ausweg, auf der Suche nach einem Ohr durch die Röhre gurgelte.
Till holte ruckartig Luft. Für einen
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