Berlin Gothic 6: Die versteckte Bedeutung (Thriller)
endlich nach Hause zu kommen. Schon den ganzen Abend über hatte er eigentlich an seinen Schreibtisch gewollt, durchtränkt von dem Gefühl, gerade jetzt eine Menge guter Ideen zu haben.
Er bog um die Ecke, hinter der die Gotzkowsky-Brücke begann und sah, dass das kleine Café, das sich dort befand, bereits geöffnet hatte. Ein Cappuccino, vielleicht ein doppelter, den machten sie dort ganz ausgezeichnet, zwei Croissants - dann würde er in seiner Wohnung keine Zeit mehr damit vergeuden müssen, sich erst ein Frühstück zu machen. Stattdessen könnte er gleich in sein Arbeitszimmer gehen und loslegen!
Voller Tatendrang betrat er das Café, ging an den kleinen Tresen und gab seine Bestellung auf. Coffee-to-go, genau, und die Croissants in eine Tüte, bitte.
Sein Blick wanderte durch die großen Scheiben, die fast die ganze Front des Cafés einnahmen. Hinter sich hörte er die Wirtin den Kaffee zubereiten. Vor sich beobachtete er den Verkehr, der in einem nicht enden wollenden Brausen die Brücke hinaufjagte oder, aus der Gegenrichtung kommend, nach Moabit floss und sich in den Seitenstraßen verlor.
Es kribbelte an seiner Nase und er wandte den Kopf. Hatte der Typ dort hinten in der Ecke gerade zu ihm geschaut? Max sah den Mann ruhig an - aber der Gast hatte den Kopf gesenkt und blickte auf eine Zeitung, die vor ihm auf dem Tisch lag.
„Auf geht’s!“, hörte sich Max fast sagen, als er wenig später mit seinem Kaffeebecher und den Croissants zurück auf die Straße trat.
Auf geht’s!
Jetzt konnte ihn nichts mehr aufhalten. Hoch in die Wohnung und direkt an den Schreibtisch! Heute würde er endlich beginnen -
„Entschuldigen Sie?“
Max drehte sich um.
Schräg hinter ihm kam der Mann auf ihn zu, der ihn im Café angesehen hatte. Er musste es gleich nach ihm verlassen haben.
„Ja?“ Max spitzte die Lippen.
Er kannte den Mann nicht. Und obwohl er nicht gleich hätte sagen können, warum, gefiel ihm das Gesicht des Fremden auch nicht. Lag es an den etwas schweren Lidern des anderen, an dem langen, fast spitz zulaufenden Hinterkopf, am schmalen Schädel?
„Entschuldigen Sie, ich habe Sie im Café gerade beobachtet … entschuldigen Sie, dass ich Sie so anspreche, aber … Sie waren ja ganz in Ihre Gedanken versunken.“
„Ja … “, Max lächelte, „ja, stimmt schon - “
„Ich wollte, das könnte ich auch. Einfach die Welt um mich herum vergessen, nur mich auf meinen Weg konzentrieren.“
Der Mann war vielleicht fünf oder sechs Jahre älter als Max, höchstens Anfang dreißig. Sein Gesicht wirkte ein wenig wächsern und Max hatte unwillkürlich den Eindruck, seine Hand würde sich feucht anfühlen, wenn man sie berührte.
„Darf ich das fragen? Wissen Sie, ich … ich habe viel darüber nachgedacht, wie ich - was ich - wie ich es richtig mache. Darf ich fragen, wie Sie das anstellen? Dass Sie rechts und links um sich herum alles vergessen und ganz auf das fokussieren können, was Sie vorhaben?“
Was soll das?, fuhr es Max durch den Kopf. „Ich verstehe nicht … “
„Nein!“, beeilte sich der andere hervorzustoßen, „es ist nicht, wie Sie denken, ich will kein Geld, ich … “ Und damit griff er in die Brusttasche seines Allwetteranoraks und zog ein Schreiben daraus hervor. Irgendein Computerausdruck, nicht unterschrieben, voller Zahlen und Kleingedrucktem.
Max wich einen Schritt zurück. „Ich habe wirklich keine Zeit, sorry, aber - “
Da sah er es. In den Augen seines Gegenübers. Eine Art Mischung aus Angst, Demütigung und Traurigkeit. Ein Glanz, in dem sich zu spiegeln schien, dass niemand jemals wirklich Zeit für den Mann gehabt hatte. Er sah vielleicht etwas abgestumpft aus - fast ranzig, fuhr es Max durch den Kopf -, aber nicht hinterhältig, nicht wirklich hinterhältig, nicht böse. Vielmehr wie jemand, der das Pech gehabt hatte, dass alle immer an ihm vorbeigegangen waren. Ein Mann wie ein Gerät, musste Max unwillkürlich denken, das nie gekauft worden ist, das seine Zeit im Regal, vielleicht sogar im Lager verbracht hat, das Staub angesetzt hat, bis es schließlich zu einem entsetzlichen Dumpingpreis verschleudert worden ist. Ein Gerät, das nie wirklich benutzt worden ist, nie seiner wahren Bestimmung zugeführt worden ist - weil es nicht gut genug gebaut worden war? Weil es vom Käufer am Ende doch nicht gebraucht worden ist? Und das schließlich, fast noch in der Originalverpackung, die im Laufe der Jahre nur ein wenig Schmutz angesetzt hatte, auf eine
Weitere Kostenlose Bücher