Berlin Gothic 6: Die versteckte Bedeutung (Thriller)
allein verständlich sein. Bis sich im Laufe des dritten Bandes plötzlich herausstellt, dass die Auflösung des Rätsels, das dort präsentiert wird, die Auflösungen aus den Bänden eins und zwei voraussetzt. Ja, dass die Auflösungen aus den Bänden eins und zwei ihre wahre Bedeutung überhaupt erst enthüllen, wenn sich zeigt, wie sie die Auflösung von Band drei ermöglichen!“
„Hm … “ Till was sich nicht sicher, ob er verstanden hatte, was Quentin meinte. „Kannst du vielleicht ein Beispiel geben, für so eine Auflösung, meine ich?“
„Das einfachste Beispiel ist sicherlich: Die Leiche am Anfang, das ist das Rätsel - die Auflösung am Ende ist der Mörder, der gefasst wird. Und bei dieser Konzeption zeigt sich in Band drei dann, dass die Mordmotive aus den Bänden eins und zwei erst wirklich verständlich werden, wenn man den Mord aus Band drei berücksichtigt.“
„Ach ja?“
„Ja! Denn erst in Band drei wird klar, dass die Morde der Bände eins und zwei nur dazu dienten, den dritten Mord als Racheakt heraufzubeschwören … was eben, solange wir den dritten Band nicht kennen, noch im Dunkeln liegt.“
„Okay.“
„Mit einem Wort: Wir fixen die Leser an, und wenn sie bei Band drei zu begreifen beginnen, dass sie erst jetzt wirklich verstehen, was sich in den Bänden eins und zwei abgespielt hat, sind sie geradezu versessen darauf weiterzulesen.“
War das jetzt eine neue Erfindung oder gab es das schon? Till war sich da nicht so sicher.
„Es ist nicht unähnlich dem Mittel, das wir ‚Twist‘ nennen“, fuhr Quentin fort. „Du erzählst eine Geschichte, sparst bestimmte Details darin aber aus. Ganz automatisch wird sich dein Leser dann darüber, was in diesen Lücken passiert ist, eine Meinung bilden. Und dann feuerst du sozusagen den Twist ab: Du offenbarst ihm, das in den Lücken in Wirklichkeit etwas ganz anderes passiert ist, als er sich das vorgestellt hat. Und du beweist ihm, dass das, was wirklich passiert ist, perfekt mit den Dingen zusammenpasst, die er schon erfahren hat. Ergebnis: Dein Leser ist überrascht. Das gefällt ihm. Und er wird gespannt darauf sein, wie es weiter geht. Wirst du ihn noch einmal überraschen können? Er kann sich das gar nicht vorstellen. Es ist ein bisschen wie bei einem Zaubertrick: Je öfter du ihn überraschst, desto deutlicher wird ihm bewusst, wie sehr er sich in all den Dingen, die er bisher für selbstverständlich gehalten hat, auch täuschen könnte.“
Till runzelte die Stirn. Was das wirklich alles, was sie in der Abteilung bisher herausbekommen hatten?
Quentin beugte sich vor. „Vor allem aber haben wir uns Gedanken über das gemacht, was wir hier den Tod der Spannung nennen.“
Till nickte.
„Angenommen, du entwirfst ein spannendes Buch. Das, was die Spannung bedroht, ist dann ja sozusagen dein Feind.“
„Ja, klar.“
„Spannung erzeugt Sucht - und Sucht ist das, was wir hier maximieren wollen. Was also ist der Tod der Spannung? Das wollten wir genauer wissen. Und die Antwort ist ganz einfach: Der Tod der Spannung ist die Auflösung! “
Till grinste.
„Denk an ein Rätsel“, fuhr Quentin fort. „Wer war der Mörder? Wo droht der Anschlag? Meinetwegen auch: Werden der Mann und die Frau sich am Ende kriegen? Wenn du das Rätsel auflöst und die Frage, die den Leser wie süßes Gift quält, beantwortest, wird er sozusagen befriedigt sein. Die Sucht wird gestillt sein und er wird das Buch zur Seite legen. Es ist also ein wenig wie beim Striptease, du musst ihn teasen und ihm gleichzeitig etwas versprechen: ‚Wenn du dabei bleibst, wird dir das Geheimnis enthüllt werden.‘“ Quentin sah Till aufmerksam an. „Das kennst du sicher: Je besser das Teasing, desto besser der Sex. Kennt jeder. Aber der Sex selbst oder der Höhepunkt, wenn du so willst, ist dann der Tod der Spannung. Also: Hinauszögern! Das ist das Einzige, was du machen kannst, wenn du die Sucht noch weiter steigern willst. Aber Vorsicht: Sobald der Leser das Gefühl bekommt, das Teasing tritt auf der Stelle, verlierst du ihn. Es muss schon auch vorangehen! “
Till verschränkte die Arme. Sucht. Felix wollte die Leute in sein fiktives Universum wie in eine Extremdroge hineinziehen. Um jeden Preis, ohne Rücksicht, mit allen Tricks.
Quentin schlug die Beine übereinander. „Die Auflösung rauszögern - den Geist des Lesers besetzen, darum geht’s.“
„Habt ihr noch andere Sachen ausprobiert … wie man das erreichen kann, meine ich?“
„Wir haben
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