Berlin Gothic 6: Die versteckte Bedeutung (Thriller)
Butz gar nicht mehr im Zimmer.
Sie muss sich aufs Sterben vorbereiten, geht es ihm durch den Kopf. Fast hat er den Eindruck, als wäre der Sensenmann bereits im Zimmer und würde höflich, zurückhaltend und doch unerbittlich auf sie herabsehen.
„Volker“, hört Butz sie da wispern und beugt sich zu ihr vor. „Es tut mir leid … ich wusste nicht, dass ich mich bereits angesteckt hatte.“
„Frau Heidt, Merle?“
Sie wendet ihm den Knopf zu, der Schädelknochen an der Stirn scheint stark nach innen gewölbt.
„War das nicht ein Kollege von Ihnen? Volker Fehrenberg.“
Unwillkürlich kneift Butz die Augen zusammen.
„Ich … ich mochte ihn“, haucht sie zwischen den Lippen hervor, „er war ein paar Mal bei von Quitzow im Büro. Er war nicht so eingebildet, wie die meisten anderen, wir haben uns gut verstanden.“
Fehrenberg. Der als erster wegen der Morde an den Frauen ermittelt hat. Wegen des Mordes an Nadja, der Frau vom Parkplatz, des Mordes an der Frau in der Baugrube, des Mordes an Anni Eisler, deren Leiche die Kollegen aus der Spree gefischt haben.
„Ich wusste nicht, dass ich mich angesteckt hatte, deshalb habe ich … ich hätte es niemals gewollt … Volker war ein kräftiger, gesunder Mann, ich … ich habe mit ihm geschlafen.“
„ Sie haben Fehrenberg angesteckt?“
Volker Fehrenberg, dessen Leiche in dem Wagen im Speckgürtel gefunden worden ist.
Merles Gesicht wirkt betroffen, sie hat deutlich Mühe, die Lider offen zu halten. Ja, ich war es, scheint sie sagen zu wollen, aber es genügt, dass sie Butz so anschaut.
Vorsichtig legt er eine Hand auf ihre Decke. „Beruhigen Sie sich, Frau Heidt, es … es ist nicht Ihre Schuld, Sie konnten ja nicht wissen … “
Ihre Miene scheint sich etwas aufzuhellen.
„Sie konnten nicht wissen, dass Sie sich angesteckt hatten … “
Er sieht, wie sie tief einatmet.
„Ich glaube, ich will jetzt ein bisschen schlafen“, flüstert sie und dreht sich, ohne Butz‘ Antwort abzuwarten, auf die andere Seite. Legt beide Hände mit den Handflächen aufeinander und schiebt sie unter ihre Wange. Schließt die Augen.
Butz richtet sich auf. Ihre Atemzüge werden gleichmäßiger. Leise geht er zur Tür. Horcht. Hört er sie noch atmen? Oder ist das Geräusch schon verloschen?
Ohne es nachzuprüfen, verlässt er den Raum.
4
Vor zwei Jahren
„Kannst du nicht schlafen?“ Lisa rollte sich auf den Rücken, streckte ihre rechte Hand nach ihm aus.
Till zog sie an sich heran und umschlang ihren warmen, entblößten Leib unter der Decke mit seinen Armen. „Willst du nicht mal mit ihm reden?“
„Mit Max?“
„Es geht ihm wirklich nicht gut. Heute Nachmittag, im Verlag, so hab ich ihn noch nie gesehen.“
„Ja … ja, ich kann es mir denken.“
„Max war richtig fertig. Als ob er nächtelang nicht geschlafen hätte. Ich habe versucht, ihn zu beruhigen, aber … er wollte gar nicht hören, schien wie gefangen in irgendwelchen Gedanken … “
Lisa antwortete nicht.
„Kannst du nicht mal zu ihm gehen? Er … wirkte, als wäre er wütend auf mich - wahrscheinlich weil ich für Felix arbeite.“
Sie atmete aus. „Du hast recht, Max geht es wirklich nicht gut.“
„Man darf ihn nicht einfach immer so weiter machen lassen. Wenn wir nicht aufpassen, gerät er in etwas hinein, in einen Gemütszustand, eine Psychose - wie auch immer das heißt - und kommt nicht mehr raus.“
Lisa schwieg.
„Was macht er denn die ganze Zeit in seiner Wohnung? Tagaus, tagein? Ich glaube, er arbeitet an einem Manuskript. Hat er dir mal etwas davon gezeigt?“
Sie schüttelte den Kopf.
„So etwas kann einen natürlich ganz verrückt machen.“
„Ja.“
„Redest du mal mit ihm?“
Sie wandte Till den Kopf zu. „Ich habe es ja schon mehrfach versucht. Vor Jahren bereits, immer wieder. Aber … “ Sie beendete den Satz nicht.
„Aber - was?“
„Es hat noch nie was gebracht. Anfangs hat er mir noch zugehört, aber in letzter Zeit will er auch das nicht mehr. Er wird sauer, schreit mich an. Er spürt selbst, dass etwas nicht stimmt, erträgt es aber nicht, wenn jemand ihn daran hindert, das zu verdrängen.“
Till zog die Beine an. „Du willst nicht mehr mit ihm reden? Was soll das heißen? Dass du deinen Bruder sich selbst überlässt?“
„Was ist mit Nina?“
„Nina, sicher … Aber du bist seine Schwester - “
„Du bist sein bester Freund.“
„Ich werde ja auch zu ihm gehen. Aber wie gesagt: er ist sauer auf mich, vielleicht
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