Berlin Gothic: Thriller
welcher Selbstverständlichkeit er ihren Namen aussprach. Im gleichen Moment spürte Julia, wie sich seine Hand auf ihren Arm legte. Sie atmete aus.
„Geht’s dir gut?“ Zärtlich sah Xaver sie an. Aber es kam Julia so vor, als wollte er nur mit jedem Schritt, den er auf sie zumachte, ein weitere Schicht über das breiten, was er eigentlich dachte …
Da sah sie, wie sich sein Gesicht ihrem näherte, schon füllte es ihr ganzes Blickfeld aus - dann berührten sie trocken, kühl, weich und auch ein wenig hart zugleich seine Lippen. Er küsste sie vorsichtig auf den Mund.
Julia schloss die Augen. Was hatte sie sich nur gedacht? Alles war gut. Er liebte sie, sie hatten doch gerade erst im Auto wieder darüber gesprochen. Sie waren zu zweit, eine uneinnehmbare Festung. Im gleichen Moment fühlte sie jedoch etwas tropfen, einen feuchten, klebrigen Sud auf ihre Oberlippe rinnen, zwischen die Lippen von ihr und Xaver sickern. Mit einer abrupten, entsetzten, irritierten Bewegung zog sie den Kopf zurück, öffnete die Augen, sah Xaver vor sich, der sich erschrocken an den Mund fasste, die Hand fleckig, die Lippe blutig. Schon griff er in die Westentasche seines Jacketts, holte ein Taschentuch daraus hervor und hielt es sich unter die Nase, wo sich innerhalb von Sekunden ein dunkelroter Klecks bildete.
„Xaver?“ Bestürzt berührte Julia seinen Arm.
Doch Xaver wich zurück und wandte sich ab, aber nicht - wie ihr schien - um sein Gesicht vor ihr zu verbergen, sondern um zu überprüfen, ob den anderen etwas aufgefallen war.
Julias Blick traf den von Felix, der jetzt einen Schritt von seiner Gruppe zurückgetreten war und aufmerksam zu ihnen herüber schaute.
„Bentheim?“ Felix‘ Stimme drang klar, scharf und laut zu ihnen herüber. „Alles in Ordnung?“
„Lass uns gehen“, flüsterte Julia Xaver zu, der Schreck war ihr tief in den Leib gefahren.
Aber es war zu spät. Sie sah, dass Felix auf sie zukam.
„Alles gut hier.“ Xaver wandte sich wieder zu Julia, mit dem Taschentuch das Blut von der Nase abwischend, und seine ganze Haltung drückte aus, mit welcher Gewalt er sich dazu zwingen musste, sich nichts anmerken zu lassen.
„Das freut mich.“ Felix neigte den Kopf ein wenig zur Seite und lächelte Julia an, während er sich zu ihnen gesellte. „Ihr Mann ist so sensibel, Julia, manchmal habe ich fast schon Angst um ihn.“
Warum können wir nicht endlich gehen, sprach es aus Julias Blick, als sie zu Xaver schaute. Aber er schien sie gar nicht mehr wahrzunehmen.
„Meine Sensibilität, wie Sie sagen, ist doch genau das, was Sie von mir wollen, Felix“, hörte sie Xaver mit seltsam spröder Stimme in Felix‘ Richtung schnarren.
„Ja, aber doch nicht soooo.“ Felix schüttelte den Kopf. „Doch nicht um den Preis Ihrer Gesundheit, mein Freund.“
„Wieso Gesundheit?“ Julia sah verwirrt zu Xaver. „Ich verstehe nicht … “
„Er übertreibt“, Felix johlte fast, „er kennt keine Grenzen - wussten Sie das nicht?“
Julia sah, wie Xavers Gesicht müde, fast gealtert wirkte - regelrecht in sich zusammenfiel. „Es … es ist nichts“, er stotterte beinahe, „es geht mir doch gut.“
„Na dann … “ Und damit lief, ja tänzelte Felix wieder zurück zu den anderen Gästen, von dem Eindruck, den er sich von Bentheim verschafft hatte, offensichtlich mehr als zufrieden gestellt.
Im gleichen Moment brach es erneut aus Xavers Nase hervor und zwar mit solcher Wucht, dass das Blut seine Hemdbrust fast überschwemmte.
Er taumelte - entsetzt griff Julia nach seinem Arm. Ihr Blick sprang in Xavers Augen und sie bemerkte, dass dorthinein etwas geschossen war, das sie noch nie zuvor darin gesehen hatte: Etwas Tierisches, Verletztes, Versehrtes.
„Wir“, stieß er hervor, die Stimme tonlos, brüchig, „ … wir können jetzt noch nicht gehen, Julia, er hat mich doch in der Hand.“
Und bevor sie ihn auffangen konnte, brach er auf den Steinplatten der Terrasse zusammen.
4
Heute
Entfernt klappert ein Esswagen … das Quietschen von Gesundheitsschuhen … vereinzelte Vogelstimmen.
Butz hält die Augen geschlossen. Sein Kopf liegt auf einem großen, weichen Kissen. Er spürt, wie seine Handflächen auf einem sauberen Bettbezug ruhen …
Im gleichen Moment fährt er hoch. Ringt nach Luft - fühlt, wie sie kommt - pumpt sich gewaltsam die Lungen voll. Sein Brustkorb hebt sich bis fast unters Kinn - seine Arme spreizen sich vom Körper ab - sein Kopf steigt nach oben …
Er
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